Jenny Gusyk: Unterschied zwischen den Versionen

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Jenny (Sophia, Genia) Stucke, geb. Gusyk, früher Guzik (* am 29.5. 1897 in Wilkowischky, heute Vilkaviškis, Litauen, damals Russisches Zarenreich; + am 2. Januar 1944 im KZ Auschwitz) war 1919 die erste immatrikulierte Studentin  an der neu gegründeten Universität Köln. Die jüdische Studentin hatte eine türkischer Staatsangehörigkeit; als erwachsene Frau und Mutter wurde sie als Kommunistin politisch und als Jüdin 'rassisch' verfolgt und in Auschwitz ermordet.
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Jenny (Sophia, Genia, Sonja) Stucke, geb. Gusyk, früher Guzik (* am 29.5. 1897 in Wilkowischky /Wilkawischeken, Gemeinde Suwałki , heute Vilkaviškis, Litauen, damals russisch-polnisches Gouvernement und damit Russisches Zarenreich; + am 2. Januar 1944 im KZ Auschwitz) war 1919 die erste immatrikulierte Studentin  an der neu gegründeten Universität Köln. Die jüdische Studentin hatte eine türkischer Staatsangehörigkeit; als erwachsene Frau und Mutter wurde sie als Kommunistin politisch und als Jüdin 'rassisch' verfolgt und in Auschwitz ermordet.
  
==Kindheit und Ausbildung==  
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==Kindheit und Ausbildung==
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Jenny Gusyk war das älteste Kind der Eltern Leon und Diana Gusyk (geb. Kawan). Sie hatte eine jüngere Schwester (Rebekka /Bekya) und jüngere Zwillingsbrüder Paul und Max.
  
Jenny Gusyk war das älteste Kind der Eltern Leon und Diana Gusyk (geb. Kawan). Sie hatte eine jüngere Schwester (Rebekka /Bekya) und jüngere Zwillingsbrüder Paul und Max.  
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Der Vater war eher zufällig in Konstantinopel geboren. Geburtsort und Lebensmittelpunkt der Kindheit war eine Kleinstadt Wilkowischky im zaristischen Gouvernement Suwałki des russisch besetzten Kongresspolen, heute Litauen.<ref>vgl. Franken, S. 33.</ref> Die Stadt lag in einem Gebiet, das einem Vielvölkerstatt glich: 1897 setzte sich dioe Bevölkerung aus Litauer:innen, Pol:innen, Russ:innen, Deutschen, und auch Juden und Jüdinnen zusammen, die als Nation gezählt wurden.<ref>vgl. Wittka, S. 36.</ref>
  
Der Vater war eher zufällig in Konstantinopel geboren. Lebensmittelpunkt der Kindheit war eine Kleinstadt Wilkowischky im zaristischen Gouvernement Suwałki des russisch besetzten Kongresspolen, heute Litauen.
 
 
Als sie ein junges Mädchen war – sie hatte schon eine höhere Mädchenschule begonnen - zog die Familie in Folge antijüdischer Pogrome nach dem Attentat auf Zar Alexander II. 1911 nach Gräfrath bei Solingen. Letztlich war der Grenzübertritt illegal und sie kamen ohne gültige Papiere im deutschen Kaiserreich bzw. im Land Preußen an.  
 
Als sie ein junges Mädchen war – sie hatte schon eine höhere Mädchenschule begonnen - zog die Familie in Folge antijüdischer Pogrome nach dem Attentat auf Zar Alexander II. 1911 nach Gräfrath bei Solingen. Letztlich war der Grenzübertritt illegal und sie kamen ohne gültige Papiere im deutschen Kaiserreich bzw. im Land Preußen an.  
Der Vater – und damit die Familie - nahm aus taktischen Gründen 1913 die türkische (damals osmanische) Staatsbürgerschaft an, die ihm wegen seines Geburtsortes Konstantinopel zustand, denn es hatte auch in Preussen bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs Feindseligkeiten gegen Personen russischer Staatsangehörigkeit und besonders gegen ‚Ostjuden‘ gegeben. Der Vater erwarb eine alteingesessene  Stahlwarenfabrik und wurde Kaufmann für Bestecke.  
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Der Vater – und damit die Familie - nahm aus taktischen Gründen 1913 die türkische (damals osmanische) Staatsbürgerschaft an, die ihm wegen seines Geburtsortes Konstantinopel zustand, denn es hatte auch in Preussen bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs Feindseligkeiten gegen Personen russischer Staatsangehörigkeit und besonders gegen ‚Ostjuden‘ gegeben. Der Vater erwarb die alteingesessene  Stahlwarenfabrik Kuno Grah und wurde Kaufmann für Bestecke (heute Wuppertaler Str. 36).  
Den Kindern fiel die Integration leicht, da die jüdische Community ihrer Heimatgegend germanophil gewesen war. Jenny Gusyk begeisterte sich bald für deutsche Literatur; das Abitur konnte sie an der evangelischen höheren Töchterschule in Gräfrath jedoch nicht ablegen.<ref>Die Mittlere Reife erwarb sie laut Rosenbaum am Lyzeum an der Friedrichstraße, der späteren August-Dicke-Schule.</ref> Daher sbsolvierte sie nach einem Praktikum im „Fabrikgeschäft" ihres Vaters eine zweijährige Lehre im kaufmännischen Sektor, u.a. im Barmer Bank-Verein, die sie mit dem Abschluss Bankbeamtin beendete.
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Den Kindern fiel die Integration leicht, da die jüdische Community ihrer Heimatgegend germanophil gewesen war. Jenny Gusyk begeisterte sich bald für deutsche Literatur; das Abitur konnte sie an der evangelischen höheren Töchterschule in Gräfrath jedoch nicht ablegen.<ref>Die Mittlere Reife erwarb sie laut Wittka am Lyzeum an der Friedrichstraße, der späteren August-Dicke-Schule. Es esistiert ein Foto der Schulklasse, ggf. sass sie dort in der ersten Reihe, vgl. https://www.solinger-tageblatt.de/solingen/graefratherin-erste-studentin-koelner-12910569.html </ref> Daher absolvierte sie nach einem Praktikum im „Fabrikgeschäft" ihres Vaters eine zweijährige Lehre im kaufmännischen Sektor, u.a. im Barmer Bank-Verein, die sie mit dem Abschluss ''Bankbeamtin'' beendete.
  
 
==Die erste Studentin==   
 
==Die erste Studentin==   
Im Sommer 1917 begann sie ein Studium an der Handelshochschule in Köln, die ihr nun offenstand. Sie zog in die Südstadt an den Sachsenring 103. An der Handelshochschule erwarb sie in vier Semestern die kaufmännische Diplomprüfung und damit  wiederum die Zugangsberechtigung zur Universität. Am 11. 4. 1919 konnte sie sich an der neugegründeten Universität Köln einschreiben - als erste Studentin und erste Studierende mit ausländischem Pass. Sie war eine von 1.299 Erstsemestern, davon 194 Frauen. Als Ausländerin musste die den dreifachen Satz an Studiengebühren bezahlen.
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Im Sommer 1917 begann sie ein Studium an der Handels-Hochschule Cöln, die ihr nun offenstand. Sie zog in die Südstadt an den Sachsenring 103. An der Handelshochschule erwarb sie in vier Semestern die kaufmännische Diplomprüfung und damit  wiederum die Zugangsberechtigung zur Universität.  
An der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften kaprizierte sie sich auf Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsgeschichte und Recht. Eine Mitstudentin, Rosemarie Ellscheid, beschrieb sie als offenen selbstbewussten hochintelligenten Menschen, der ‚überall mit dabei‘ gewesen sei.  
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Am 11. 4. 1919 konnte sie sich an der neugegründeten Universität Köln einschreiben - als erste Studentin und erste Studierende mit ausländischem Pass - sie führte die Matrikelnummer 2 der neuen Universität.<ref>vgl. Franken, S. 35.; UAK , Zug. 29/124 - Album der Universität.</ref> Gusyk war eine von 1.299 Erstsemestern, davon 194 Frauen. Als Ausländerin musste die den dreifachen Satz an Studiengebühren bezahlen.
Im 1. Semester engagierte sie sich in der studierenden Selbstverwaltung, damals ''Allgemeine Vereinigung der Studierenden'' genannt, dem späteren ''Asta''.  
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An der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften kaprizierte sie sich auf Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsgeschichte und Recht. Eine Mitstudentin, Dr. Rosemarie Ellscheid, beschrieb sie als offenen, selbstbewussten, hochintelligenten Menschen. Die 99-jährige Frau Ellscheid erinnerte sich 1994 "an  die 'dunkelhaarige', 'typisch jüdisch' aussehende Studentin, die an der Uni allen bekannt und 'überall mit dabei' gewesen sei."<ref>Wittka, S. 38, Basis war ein Telefoninterview. Über die Jahre an der Universität und ihr späteres Berufsleben verfasste Ellscheid ein Erinnerungsbuch: Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5).</ref>
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Im 1. Semester engagierte sich Jenny Gusyk in der studierenden Selbstverwaltung, damals ''Allgemeine Vereinigung der Studierenden'' genannt, dem späteren ''Asta''.<ref>vgl. Franken, S. 34 und S. 58 ff.</ref>
 
Laut den Erinnerungen der Kommilitonin Rosemarie Ellscheid bekamen die Studierenden damals die Not der Bevölkerung hautnah mit, da im gleichen Gebäude in der Südstadt die Versammlung der Ratsherren und -erstmals auch Frauen tagte. So „sind wir Studenten unmittelbar Zeugen der Massenaufläufe der von radikalen Arbeitslosenräten geführten Erwerbslosen geworden, die von den Stadtverordneten eine Erhöhung ihrer kleinen Unterstützung und mehr Lebensmittel forderten. Unter diesen Umständen war nur für ganz wenige Studierende ein sorgloses Studium möglich.“<ref>Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5),S. 79.</ref> Vielleicht hat sich Gusyk damals politisiert? Schon während des Studiums offenbarte sie sich als Kommunistin, was bei Dozierenden wie Studierenden auf Vorbehalte stieß.  
 
Laut den Erinnerungen der Kommilitonin Rosemarie Ellscheid bekamen die Studierenden damals die Not der Bevölkerung hautnah mit, da im gleichen Gebäude in der Südstadt die Versammlung der Ratsherren und -erstmals auch Frauen tagte. So „sind wir Studenten unmittelbar Zeugen der Massenaufläufe der von radikalen Arbeitslosenräten geführten Erwerbslosen geworden, die von den Stadtverordneten eine Erhöhung ihrer kleinen Unterstützung und mehr Lebensmittel forderten. Unter diesen Umständen war nur für ganz wenige Studierende ein sorgloses Studium möglich.“<ref>Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5),S. 79.</ref> Vielleicht hat sich Gusyk damals politisiert? Schon während des Studiums offenbarte sie sich als Kommunistin, was bei Dozierenden wie Studierenden auf Vorbehalte stieß.  
 
Rosermarie Ellscheid kolportierte, sie sei Genia genannt worden.  
 
Rosermarie Ellscheid kolportierte, sie sei Genia genannt worden.  
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==Veränderungen/Karriereaus==  
 
==Veränderungen/Karriereaus==  
Im Herbst 1918,  hatte Jenny ihre Mutter Diana und einen Tag später ihren Bruder Paul durch die Spanische Grippe verloren.<ref>Die beiden wurden auf dem „Israelitischen Friedhof" am Estherweg beerdigt.</ref> Die Beerdigung erfolgte traditionell „ohne Frauenbegleitung“. Leon Gusyk verließ daraufhin Solingen und zog nach Hamburg, er bürdete seiner Tochter die Mutterpflichten auf. Die ökonomisch versierte Tochter wickelte seine dortige Besteckfirma für ihn ab und übernahm die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister Rebekka und Max, die zu ihr in ihre Kölner Studentinnenwohnung in die Luxemburger Str. 53 zogen.  
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Im Herbst 1918,  hatte Jenny ihre Mutter Diana und einen Tag später ihren Bruder Paul durch die Spanische Grippe verloren.<ref>Die beiden wurden auf dem „Israelitischen Friedhof" am Estherweg beerdigt. Vgl. Rosenbaum, S. 12</ref> Die Beerdigung erfolgte traditionell „ohne Frauenbegleitung“. Leon Gusyk verließ daraufhin Solingen und zog nach Hamburg, er bürdete seiner Tochter die Mutterpflichten auf. Die ökonomisch versierte Tochter wickelte seine dortige Besteckfirma für ihn ab und übernahm die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister Rebekka und Max, die zu ihr in ihre Kölner Studentinnenwohnung in die Luxemburger Str. 53 zogen.  
  
Nach sieben Semestern beendete sie im Wintersemester 1920/21 ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre mit einer Diplomarbeit über den Sozialisten und Pazifisten Jean Jaurès, der 1914 ermordet worden war. Leider fehlt die Arbeit im Universitäts-Archiv.  Unter den 51 Absolventen erwarb  sie als einzige Studentin den Titel Diplom-Kaufmann mit Auszeichnung.
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Nach sieben Semestern beendete sie im Wintersemester 1920/21 ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre mit einer Diplomarbeit über den Sozialisten und Pazifisten Jean Jaurès, der 1914 ermordet worden war. Leider fehlt die Arbeit im Universitäts-Archiv.  Unter den 51 Absolventen erwarb  sie als einzige Studentin den Titel Diplom-Kaufmann mit Auszeichnung.<ref>vgl. Franken, S. 34.</ref>
 
   
 
   
Anschließend strebte sie eine Promotion an, deren Thema unbekannt ist, eventuell sollte diese auf ihrer Diplomarbeit aufbauen. Ihr Doktorvater und Gründungsrektor der Universität Christian Eckert soll die Arbeit mit der Begründung abgelehnt haben, sie sei zu stark „kommunistisch durchdrungen”.
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Anschließend strebte sie eine Promotion an, deren Thema unbekannt ist, eventuell sollte diese auf ihrer Diplomarbeit aufbauen. Ihr Doktorvater und Gründungsrektor der Universität Christian Eckert soll die Arbeit mit der Begründung abgelehnt haben, sie sei zu stark „kommunistisch durchdrungen”.<ref>vgl. Wittka, S. 38/40.</ref>
  
 
Die akademische Laufbahn der Betriebswirtin endete im Nichts, in Köln hatte sie keine akademischen Chancen mehr. Für einige Jahre haben wir keine Informationen, wie sie ihre kleine Familie ernährte.  
 
Die akademische Laufbahn der Betriebswirtin endete im Nichts, in Köln hatte sie keine akademischen Chancen mehr. Für einige Jahre haben wir keine Informationen, wie sie ihre kleine Familie ernährte.  
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==Berlin: Ehe und Mutterschaft==  
 
==Berlin: Ehe und Mutterschaft==  
1926 zog die Restfamilie nach Berlin-Charlottenberg, eine russisch-jüdische Enklave, in der ihr Vater inzwischen wohnte. Sie nahm eine Stelle als Buchhalterin an - und sie lernte den pazifistischen Schneider Karl Stucke kennen, der nebenbei als Journalist für das wichtigste  KPD-Organ Rote fahne schrieb, bis er als Abweichler (Trotzkist?) ausgeschlossen wurde.<ref>Er war Sohn eines Bremer Schneidermeisters, vgl. https://www.solingen.de/de/archiv/stolperstein-stucke-jenny-geborene-gusyk-gusyk-jenny-verheiratete-stucke-94200/. Er hat einen fünf Jahre jüngeren Bruder Fritz.</ref> Das Paar heiratete und sie nahm seinen Nachnamen an. 1927 wurde der gemeinsame Sohn (Hans) Thomas Stucke geboren – und wie der Vater - evangelisch getauft.
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1926 zog die Restfamilie nach Berlin-Charlottenberg, eine russisch-jüdische Enklave, in der ihr Vater inzwischen wohnte. Sie nahm eine Stelle als Buchhalterin an - und sie lernte den pazifistischen Schneider Karl Stucke kennen, der nebenbei als Journalist für das wichtigste  KPD-Organ Rote fahne schrieb, bis er als Abweichler (Trotzkist?) ausgeschlossen wurde.<ref>Er war Sohn eines Bremer Schneidermeisters, vgl. https://www.solingen.de/de/archiv/stolperstein-stucke-jenny-geborene-gusyk-gusyk-jenny-verheiratete-stucke-94200/. Er hat einen fünf Jahre jüngeren Bruder Fritz. - Rosemarie Ellscheid besuchte sie trotz der unterschiedlichen Milieu - katholisch-konservativ und jüdisch-kommunistisch - in Berlin, vgl. Wittka, S. 40.</ref> Das Paar heiratete und sie nahm seinen Nachnamen an. 1927 wurde der gemeinsame Sohn (Hans) Thomas Stucke geboren – und wie der Vater - evangelisch getauft.
  
 
==Verfolgung und Ernmordung==  
 
==Verfolgung und Ernmordung==  
 
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen setzte für politische Abweichler:innen wie auch für Jüdinnen und Juden die politische Verfolgung ein. Karl Stucke wurde bereits 1933 wegen seiner kommunistischen Einstellung und seinem Engagement für die KPD in Schutzhaft genommen und für fast 2 Jahre inhaftiert. Er betätigte sich danach nicht mehr politisch und konnte nicht mehr als Autor arbeiten, er wurde wieder Schneider. Jenny Stucke war als linksorientierte Jüdin doppelt gefährdet; jedoch gibt es über ihr Leben in Berlin oder etwaige Verfolgungen keine Zeugnisse. Ggf. war sie in Berlin selbst bisher nicht aktenkundig geworden. In Berliner Adressbüchern finden wir nur den Eintrag: Stucke, C., Schneider (1937). Wohnort Sigmundshof 12.  
 
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen setzte für politische Abweichler:innen wie auch für Jüdinnen und Juden die politische Verfolgung ein. Karl Stucke wurde bereits 1933 wegen seiner kommunistischen Einstellung und seinem Engagement für die KPD in Schutzhaft genommen und für fast 2 Jahre inhaftiert. Er betätigte sich danach nicht mehr politisch und konnte nicht mehr als Autor arbeiten, er wurde wieder Schneider. Jenny Stucke war als linksorientierte Jüdin doppelt gefährdet; jedoch gibt es über ihr Leben in Berlin oder etwaige Verfolgungen keine Zeugnisse. Ggf. war sie in Berlin selbst bisher nicht aktenkundig geworden. In Berliner Adressbüchern finden wir nur den Eintrag: Stucke, C., Schneider (1937). Wohnort Sigmundshof 12.  
  
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Im Jahr des Kriegsbeginns 1939 wurde der Ehemann erneut inhaftiert, Jenny Stucke soll ihn dort unter Gefahr des eigenen Lebens besucht haben. Er  starb am 14. Januar 1940 im KZ Sachsenhausen. Seine Beerdigung erfolgte auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde, auf dem u.a. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bestattet worden waren, nahe dieser „Gedenkstätte der Sozialisten", und wurde zu einer Demonstration zahlreicher Nazi-Gegner:innen. Jenny Stucke verlor damit den Schutz, den ihr ihre Ehe mit einem nicht-jüdischen Mann geboten hatten (privilegierte Mischehe). Der Sohn  erinnert sich, wie sie „verbissen“ darum kämpfte, die beiden am Leben zu erhalten. Ab dem 19. September 1941 unterlag sie der Pflicht, den Judenstern zu tragen. Ihre Schwester Rebekka sich 1942 in letzter Minute in die USA retten. Vermutlich aus Sorge um ihren Vater, der im Altersheim der Jüdischen Gemeinde lebte blieb Jenny Stucke in Berlin und nutze das vorhanden Visum nicht.<ref>Der Vater starb im Januar 1943 im Altersheim der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet, ebenso seine zweite Ehefrau, die ebenfalls Jennys Gusyk hieß, vgl. Rosenbaum, S. 12.</ref>
  
Im Jahr des Kriegsbeginns 1939 wurde der Ehemann erneut inhaftiert, Jenny Stucke soll ihn dort unter Gefahr des eigenen Lebens besucht haben. Er  starb am 14. Januar 1940 im KZ Sachsenhausen. Seine Beerdigung erfolgte auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde, auf dem u.a. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bestattet worden waren, nahe dieser „Gedenkstätte der Sozialisten", und wurde zu einer Demonstration zahlreicher Nazi-Gegner:innen. Jenny Stucke verlor damit den Schutz, den ihr ihre Ehe mit einem nicht-jüdischen Mann geboten hatten (privilegierte Mischehe). Der Sohn  erinnert sich, wie sie „verbissen“ darum kämpfte, die beiden am Leben zu erhalten. Ab dem 19. September 1941 unterlag sie der Pflicht, den Judenstern zu tragen. Ihre Schwester Rebekka sich 1942 in letzter Minute in die USA retten. Vermutlich aus Sorge um ihren Vater, der im Altersheim der Jüdischen Gemeinde lebte blieb Jenny Stucke in Berlin und nutze das vorhanden Visum nicht.<ref>Der Vater starb im Januar 1943 im Altersheim der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.</ref>
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Nun war es unmöglich geworden, Deutschland zu verlassen, sie war in Gefahr. Jenny Stucke tauchte unter, nahm ggf. den Vornamen Sonja an, wurde aber nach kurzer Zeit im Juni 1943 denunziert und verhaftet – nun sah sie ihren Sohn zum letzten Mal.<ref>Vgl. zum Wechsel des Vornamens Rosenbaum, S. 12.</ref>  Sie wurde zunächst in das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße verbracht, dann in ein Nebenlager des Frauen-KZ Ravensbrück in Mecklenburg deportiert, dann ins Gefängnis Lehrter Straße in Berlin Moabit zurückgeführt, in dem entsetzliche Zustände herrschten.  
 
 
Nun war es unmöglich geworden, Deutschland zu verlassen, sie war in Gefahr. Jenny Stucke tauchte unter, nahm ggf. den Vornamen Sonja an, wurde aber nach kurzer Zeit im Juni 1943 denunziert und verhaftet – nun sah sie ihren Sohn zum letzten Mal. Sie wurde zunächst in das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße verbracht, dann in ein Nebenlager des Frauen-KZ Ravensbrück in Mecklenburg deportiert, dann ins Gefängnis Lehrter Straße in Berlin Moabit zurückgeführt, in dem entsetzliche Zustände herrschten.  
 
 
An einem nicht bekannten Tag in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und Anfang Januar 1944 ermordet, nur 46 Jahre alt.  
 
An einem nicht bekannten Tag in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und Anfang Januar 1944 ermordet, nur 46 Jahre alt.  
  
 
Da es keine Quellen gibt vermutet Biograph Rosenbaum, sie sei bereits beim Transport im Viehwagen gestorben oder direkt an der Rampe ‚selektiert‘ worden. Auch  ihr Bruder Max und dessen Frau Lydia erlitten kurz vorher dies Schicksal. Ihr Sohn überlebte dank der Hilfe von politischen Freund:innen des Vaters und konnte 1946 zu seiner Tante Rebekka nach New York ausreisen. Er stimmte 2009 zu, den Gleichstellungspreis der Universität zu Köln nach seiner Mutter zu benennen. 2013 verstarb er in den USA.<ref>Er liegt vermutlich auf dem McCullough Funeral Home in Georgia begraben.</ref>  
 
Da es keine Quellen gibt vermutet Biograph Rosenbaum, sie sei bereits beim Transport im Viehwagen gestorben oder direkt an der Rampe ‚selektiert‘ worden. Auch  ihr Bruder Max und dessen Frau Lydia erlitten kurz vorher dies Schicksal. Ihr Sohn überlebte dank der Hilfe von politischen Freund:innen des Vaters und konnte 1946 zu seiner Tante Rebekka nach New York ausreisen. Er stimmte 2009 zu, den Gleichstellungspreis der Universität zu Köln nach seiner Mutter zu benennen. 2013 verstarb er in den USA.<ref>Er liegt vermutlich auf dem McCullough Funeral Home in Georgia begraben.</ref>  
  
2009 schreibt die Universität zu Köln einen Gleichstellungspreis aus, der mit der Zustimmung ihres im US-Bundesstaat New York lebenden Sohnes den Namen „Jenny-Gusyk-Preis" erhält. Diese Auszeichnung wird 2010 erstmalig zu gleichen Teilen an die mathematische und juristische Fakultät in Köln verliehen.
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1995 machte die Ausstellung „Ja, das Studium der Weiber ist schwer!“ auf das Schicksal der ersten Studentin aufmerksam. Ein Stolperstein für die ermordete Kölner Studentin befindet sich nicht in Berlin, am letzten Wohnort vor der Deportation, sondern am letzten Solinger Wohnort.
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Die Gleichstellungsbeauftragten der Universität zu Köln vergibt seit 2009 den „Jenny-Gusyk-Preis“ für Projekte innerhalb der Hochschule zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Der damals noch lebende Sohn stimmte der Benennung zu.
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==Literatur==  
 
==Literatur==  
* Claudia Meyer (1988): Artikel im Kölner Stadtanzeiger
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* Meyer, Claudia (1988): Eine Universität und ihre Stadt. Sonderbeilage des Kölner Stadtanzeiger zur 600-Jahr-Feier vom 30.5.1988.
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* Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5).
 
* Franken, Irene (1995): "Ja, das Studium der Weiber ist schwer!". Studentinnen und Dozentinnen an der Kölner Universität bis 1933 ; Katalog zur Ausstellung in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln ; 28. April - 10. Juni 1995. Köln: M-&-T-Verl.
 
* Franken, Irene (1995): "Ja, das Studium der Weiber ist schwer!". Studentinnen und Dozentinnen an der Kölner Universität bis 1933 ; Katalog zur Ausstellung in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln ; 28. April - 10. Juni 1995. Köln: M-&-T-Verl.
 
* Wittka, Marina: Geschichte des Frauenstudiums. In: Frauenbeauftragte der Universität zu Köln (Hg.): Genia – Nur für Frauen. m&t Verlag, Köln 1995, ISBN 3-9804489-0-8, S. 13–96.
 
* Wittka, Marina: Geschichte des Frauenstudiums. In: Frauenbeauftragte der Universität zu Köln (Hg.): Genia – Nur für Frauen. m&t Verlag, Köln 1995, ISBN 3-9804489-0-8, S. 13–96.
 
* Rosenbaum, Wilhelm (2003): Jenny Gusyk. Jüdin, Türkin, Solingerin. Die Biografie der ersten Studentin an der Universität zu Köln. Solingen (Stadtarchiv).  
 
* Rosenbaum, Wilhelm (2003): Jenny Gusyk. Jüdin, Türkin, Solingerin. Die Biografie der ersten Studentin an der Universität zu Köln. Solingen (Stadtarchiv).  
* Demant, Najah (2019): Jenny Gusyk. Die erste Studentin der Universität zu Köln, in: Planert, Ute (Hg.): Alberts Töchter. Kölner Frauen zwischen Stadt, Universität und Republik (1914-1933), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag , S. 189-203.
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* Demant, Najah (2019): Jenny Gusyk. Die erste Studentin der Universität zu Köln, in: Planert, Ute (Hg.): Alberts Töchter. Kölner Frauen zwischen Stadt, Universität und Republik (1914-1933), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag , S. 189-203.  
 
 
 
   
 
   
  

Aktuelle Version vom 6. Januar 2022, 11:53 Uhr

Jenny (Sophia, Genia, Sonja) Stucke, geb. Gusyk, früher Guzik (* am 29.5. 1897 in Wilkowischky /Wilkawischeken, Gemeinde Suwałki , heute Vilkaviškis, Litauen, damals russisch-polnisches Gouvernement und damit Russisches Zarenreich; + am 2. Januar 1944 im KZ Auschwitz) war 1919 die erste immatrikulierte Studentin an der neu gegründeten Universität Köln. Die jüdische Studentin hatte eine türkischer Staatsangehörigkeit; als erwachsene Frau und Mutter wurde sie als Kommunistin politisch und als Jüdin 'rassisch' verfolgt und in Auschwitz ermordet.

Kindheit und Ausbildung

Jenny Gusyk war das älteste Kind der Eltern Leon und Diana Gusyk (geb. Kawan). Sie hatte eine jüngere Schwester (Rebekka /Bekya) und jüngere Zwillingsbrüder Paul und Max.

Der Vater war eher zufällig in Konstantinopel geboren. Geburtsort und Lebensmittelpunkt der Kindheit war eine Kleinstadt Wilkowischky im zaristischen Gouvernement Suwałki des russisch besetzten Kongresspolen, heute Litauen.[1] Die Stadt lag in einem Gebiet, das einem Vielvölkerstatt glich: 1897 setzte sich dioe Bevölkerung aus Litauer:innen, Pol:innen, Russ:innen, Deutschen, und auch Juden und Jüdinnen zusammen, die als Nation gezählt wurden.[2]

Als sie ein junges Mädchen war – sie hatte schon eine höhere Mädchenschule begonnen - zog die Familie in Folge antijüdischer Pogrome nach dem Attentat auf Zar Alexander II. 1911 nach Gräfrath bei Solingen. Letztlich war der Grenzübertritt illegal und sie kamen ohne gültige Papiere im deutschen Kaiserreich bzw. im Land Preußen an. Der Vater – und damit die Familie - nahm aus taktischen Gründen 1913 die türkische (damals osmanische) Staatsbürgerschaft an, die ihm wegen seines Geburtsortes Konstantinopel zustand, denn es hatte auch in Preussen bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs Feindseligkeiten gegen Personen russischer Staatsangehörigkeit und besonders gegen ‚Ostjuden‘ gegeben. Der Vater erwarb die alteingesessene Stahlwarenfabrik Kuno Grah und wurde Kaufmann für Bestecke (heute Wuppertaler Str. 36). Den Kindern fiel die Integration leicht, da die jüdische Community ihrer Heimatgegend germanophil gewesen war. Jenny Gusyk begeisterte sich bald für deutsche Literatur; das Abitur konnte sie an der evangelischen höheren Töchterschule in Gräfrath jedoch nicht ablegen.[3] Daher absolvierte sie nach einem Praktikum im „Fabrikgeschäft" ihres Vaters eine zweijährige Lehre im kaufmännischen Sektor, u.a. im Barmer Bank-Verein, die sie mit dem Abschluss Bankbeamtin beendete.

Die erste Studentin

Im Sommer 1917 begann sie ein Studium an der Handels-Hochschule Cöln, die ihr nun offenstand. Sie zog in die Südstadt an den Sachsenring 103. An der Handelshochschule erwarb sie in vier Semestern die kaufmännische Diplomprüfung und damit wiederum die Zugangsberechtigung zur Universität. Am 11. 4. 1919 konnte sie sich an der neugegründeten Universität Köln einschreiben - als erste Studentin und erste Studierende mit ausländischem Pass - sie führte die Matrikelnummer 2 der neuen Universität.[4] Gusyk war eine von 1.299 Erstsemestern, davon 194 Frauen. Als Ausländerin musste die den dreifachen Satz an Studiengebühren bezahlen. An der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften kaprizierte sie sich auf Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsgeschichte und Recht. Eine Mitstudentin, Dr. Rosemarie Ellscheid, beschrieb sie als offenen, selbstbewussten, hochintelligenten Menschen. Die 99-jährige Frau Ellscheid erinnerte sich 1994 "an die 'dunkelhaarige', 'typisch jüdisch' aussehende Studentin, die an der Uni allen bekannt und 'überall mit dabei' gewesen sei."[5] Im 1. Semester engagierte sich Jenny Gusyk in der studierenden Selbstverwaltung, damals Allgemeine Vereinigung der Studierenden genannt, dem späteren Asta.[6] Laut den Erinnerungen der Kommilitonin Rosemarie Ellscheid bekamen die Studierenden damals die Not der Bevölkerung hautnah mit, da im gleichen Gebäude in der Südstadt die Versammlung der Ratsherren und -erstmals auch Frauen tagte. So „sind wir Studenten unmittelbar Zeugen der Massenaufläufe der von radikalen Arbeitslosenräten geführten Erwerbslosen geworden, die von den Stadtverordneten eine Erhöhung ihrer kleinen Unterstützung und mehr Lebensmittel forderten. Unter diesen Umständen war nur für ganz wenige Studierende ein sorgloses Studium möglich.“[7] Vielleicht hat sich Gusyk damals politisiert? Schon während des Studiums offenbarte sie sich als Kommunistin, was bei Dozierenden wie Studierenden auf Vorbehalte stieß. Rosermarie Ellscheid kolportierte, sie sei Genia genannt worden. Entweder gaben ihre Kommilitoninnen Jenny den Spitznamen aufgrund ihrer Wissbegierde und ihres Fleißes, oder sie nahmen den russischen Namen Eugenia als Referenz - oder hat sie selbst ihn aus Verehrung für die feministischen Ideen der russischen Schriftstellerin Alexandra Kollontai gewählt, die eine sexuell freie Genia zu einer Hauptfigur machte?

Veränderungen/Karriereaus

Im Herbst 1918, hatte Jenny ihre Mutter Diana und einen Tag später ihren Bruder Paul durch die Spanische Grippe verloren.[8] Die Beerdigung erfolgte traditionell „ohne Frauenbegleitung“. Leon Gusyk verließ daraufhin Solingen und zog nach Hamburg, er bürdete seiner Tochter die Mutterpflichten auf. Die ökonomisch versierte Tochter wickelte seine dortige Besteckfirma für ihn ab und übernahm die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister Rebekka und Max, die zu ihr in ihre Kölner Studentinnenwohnung in die Luxemburger Str. 53 zogen.

Nach sieben Semestern beendete sie im Wintersemester 1920/21 ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre mit einer Diplomarbeit über den Sozialisten und Pazifisten Jean Jaurès, der 1914 ermordet worden war. Leider fehlt die Arbeit im Universitäts-Archiv. Unter den 51 Absolventen erwarb sie als einzige Studentin den Titel Diplom-Kaufmann mit Auszeichnung.[9]

Anschließend strebte sie eine Promotion an, deren Thema unbekannt ist, eventuell sollte diese auf ihrer Diplomarbeit aufbauen. Ihr Doktorvater und Gründungsrektor der Universität Christian Eckert soll die Arbeit mit der Begründung abgelehnt haben, sie sei zu stark „kommunistisch durchdrungen”.[10]

Die akademische Laufbahn der Betriebswirtin endete im Nichts, in Köln hatte sie keine akademischen Chancen mehr. Für einige Jahre haben wir keine Informationen, wie sie ihre kleine Familie ernährte.


Berlin: Ehe und Mutterschaft

1926 zog die Restfamilie nach Berlin-Charlottenberg, eine russisch-jüdische Enklave, in der ihr Vater inzwischen wohnte. Sie nahm eine Stelle als Buchhalterin an - und sie lernte den pazifistischen Schneider Karl Stucke kennen, der nebenbei als Journalist für das wichtigste KPD-Organ Rote fahne schrieb, bis er als Abweichler (Trotzkist?) ausgeschlossen wurde.[11] Das Paar heiratete und sie nahm seinen Nachnamen an. 1927 wurde der gemeinsame Sohn (Hans) Thomas Stucke geboren – und wie der Vater - evangelisch getauft.

Verfolgung und Ernmordung

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen setzte für politische Abweichler:innen wie auch für Jüdinnen und Juden die politische Verfolgung ein. Karl Stucke wurde bereits 1933 wegen seiner kommunistischen Einstellung und seinem Engagement für die KPD in Schutzhaft genommen und für fast 2 Jahre inhaftiert. Er betätigte sich danach nicht mehr politisch und konnte nicht mehr als Autor arbeiten, er wurde wieder Schneider. Jenny Stucke war als linksorientierte Jüdin doppelt gefährdet; jedoch gibt es über ihr Leben in Berlin oder etwaige Verfolgungen keine Zeugnisse. Ggf. war sie in Berlin selbst bisher nicht aktenkundig geworden. In Berliner Adressbüchern finden wir nur den Eintrag: Stucke, C., Schneider (1937). Wohnort Sigmundshof 12.

Im Jahr des Kriegsbeginns 1939 wurde der Ehemann erneut inhaftiert, Jenny Stucke soll ihn dort unter Gefahr des eigenen Lebens besucht haben. Er starb am 14. Januar 1940 im KZ Sachsenhausen. Seine Beerdigung erfolgte auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde, auf dem u.a. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bestattet worden waren, nahe dieser „Gedenkstätte der Sozialisten", und wurde zu einer Demonstration zahlreicher Nazi-Gegner:innen. Jenny Stucke verlor damit den Schutz, den ihr ihre Ehe mit einem nicht-jüdischen Mann geboten hatten (privilegierte Mischehe). Der Sohn erinnert sich, wie sie „verbissen“ darum kämpfte, die beiden am Leben zu erhalten. Ab dem 19. September 1941 unterlag sie der Pflicht, den Judenstern zu tragen. Ihre Schwester Rebekka sich 1942 in letzter Minute in die USA retten. Vermutlich aus Sorge um ihren Vater, der im Altersheim der Jüdischen Gemeinde lebte blieb Jenny Stucke in Berlin und nutze das vorhanden Visum nicht.[12]

Nun war es unmöglich geworden, Deutschland zu verlassen, sie war in Gefahr. Jenny Stucke tauchte unter, nahm ggf. den Vornamen Sonja an, wurde aber nach kurzer Zeit im Juni 1943 denunziert und verhaftet – nun sah sie ihren Sohn zum letzten Mal.[13] Sie wurde zunächst in das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße verbracht, dann in ein Nebenlager des Frauen-KZ Ravensbrück in Mecklenburg deportiert, dann ins Gefängnis Lehrter Straße in Berlin Moabit zurückgeführt, in dem entsetzliche Zustände herrschten. An einem nicht bekannten Tag in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und Anfang Januar 1944 ermordet, nur 46 Jahre alt.

Da es keine Quellen gibt vermutet Biograph Rosenbaum, sie sei bereits beim Transport im Viehwagen gestorben oder direkt an der Rampe ‚selektiert‘ worden. Auch ihr Bruder Max und dessen Frau Lydia erlitten kurz vorher dies Schicksal. Ihr Sohn überlebte dank der Hilfe von politischen Freund:innen des Vaters und konnte 1946 zu seiner Tante Rebekka nach New York ausreisen. Er stimmte 2009 zu, den Gleichstellungspreis der Universität zu Köln nach seiner Mutter zu benennen. 2013 verstarb er in den USA.[14]

1995 machte die Ausstellung „Ja, das Studium der Weiber ist schwer!“ auf das Schicksal der ersten Studentin aufmerksam. Ein Stolperstein für die ermordete Kölner Studentin befindet sich nicht in Berlin, am letzten Wohnort vor der Deportation, sondern am letzten Solinger Wohnort.

Die Gleichstellungsbeauftragten der Universität zu Köln vergibt seit 2009 den „Jenny-Gusyk-Preis“ für Projekte innerhalb der Hochschule zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Der damals noch lebende Sohn stimmte der Benennung zu.


Literatur

  • Meyer, Claudia (1988): Eine Universität und ihre Stadt. Sonderbeilage des Kölner Stadtanzeiger zur 600-Jahr-Feier vom 30.5.1988.
  • Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5).
  • Franken, Irene (1995): "Ja, das Studium der Weiber ist schwer!". Studentinnen und Dozentinnen an der Kölner Universität bis 1933 ; Katalog zur Ausstellung in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln ; 28. April - 10. Juni 1995. Köln: M-&-T-Verl.
  • Wittka, Marina: Geschichte des Frauenstudiums. In: Frauenbeauftragte der Universität zu Köln (Hg.): Genia – Nur für Frauen. m&t Verlag, Köln 1995, ISBN 3-9804489-0-8, S. 13–96.
  • Rosenbaum, Wilhelm (2003): Jenny Gusyk. Jüdin, Türkin, Solingerin. Die Biografie der ersten Studentin an der Universität zu Köln. Solingen (Stadtarchiv).
  • Demant, Najah (2019): Jenny Gusyk. Die erste Studentin der Universität zu Köln, in: Planert, Ute (Hg.): Alberts Töchter. Kölner Frauen zwischen Stadt, Universität und Republik (1914-1933), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag , S. 189-203.


weblinks


Einzelnachweise

  1. vgl. Franken, S. 33.
  2. vgl. Wittka, S. 36.
  3. Die Mittlere Reife erwarb sie laut Wittka am Lyzeum an der Friedrichstraße, der späteren August-Dicke-Schule. Es esistiert ein Foto der Schulklasse, ggf. sass sie dort in der ersten Reihe, vgl. https://www.solinger-tageblatt.de/solingen/graefratherin-erste-studentin-koelner-12910569.html
  4. vgl. Franken, S. 35.; UAK , Zug. 29/124 - Album der Universität.
  5. Wittka, S. 38, Basis war ein Telefoninterview. Über die Jahre an der Universität und ihr späteres Berufsleben verfasste Ellscheid ein Erinnerungsbuch: Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5).
  6. vgl. Franken, S. 34 und S. 58 ff.
  7. Ellscheid, Rosa M. (1988): Erinnerungen von 1896 - 1987. Köln: Köln. Stadtmuseum (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 5),S. 79.
  8. Die beiden wurden auf dem „Israelitischen Friedhof" am Estherweg beerdigt. Vgl. Rosenbaum, S. 12
  9. vgl. Franken, S. 34.
  10. vgl. Wittka, S. 38/40.
  11. Er war Sohn eines Bremer Schneidermeisters, vgl. https://www.solingen.de/de/archiv/stolperstein-stucke-jenny-geborene-gusyk-gusyk-jenny-verheiratete-stucke-94200/. Er hat einen fünf Jahre jüngeren Bruder Fritz. - Rosemarie Ellscheid besuchte sie trotz der unterschiedlichen Milieu - katholisch-konservativ und jüdisch-kommunistisch - in Berlin, vgl. Wittka, S. 40.
  12. Der Vater starb im Januar 1943 im Altersheim der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet, ebenso seine zweite Ehefrau, die ebenfalls Jennys Gusyk hieß, vgl. Rosenbaum, S. 12.
  13. Vgl. zum Wechsel des Vornamens Rosenbaum, S. 12.
  14. Er liegt vermutlich auf dem McCullough Funeral Home in Georgia begraben.


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