Henriette Hannah Bodenheimer

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(Henriette ) Hannah Bodenheimer (* 21.Juli 1898 in Köln; + 25. März1992 in Jerusalem) war eine Lehrerin für Landwirtschaft zur Vorbereitung der Auswanderung jüdischer Mädchen, Publizistin biografischer Bücher über ihren Vater Max Isidor Bodenheimer und Übersetzerin.


Kindheit und schulische Bildung

Ihrer Mutter war Rosa Bodenheimer, der Vater Max Isidor Bodenheimer, beide bekannte Zionist:innen in Deutschland. Sie hatte einen älteren Bruder Fritz Simon und eine jüngere Schwester Ruth Bodenheimer. Beide Töchter blieben unverheiratet.

Das Mädchen Henriette Hannah, genannt Hannah, besuchte von 1905 bis 1915 sowohl die Kaiserin-Augusta-Schule als auch die Koenigin-Luise-Schule in Köln, ggf. auch Klassen parallel an beiden Schulen (israelitischer Religionsunterricht?). Wie ihre Schwester Ruth unterstützte sie - vermutlich auf Anregung der Mutter - im Ersten Weltkrieg, 1915, die "Heimatfront" und erhielt eine Belobigung des Oberbürgermeisters. Sie schrieb Tagebuch, einige Seiten von 1914 bis 1917 sind erhalten.

Berufliche Ausbildung

Ab 1915 besuchte sie die Königliche Handels- und Gewerbeschule für Mädchen in Rheydt. Es sind zahlreiche Mitschriften im Nachlass erhalten. 1916 wechselte sie an die Wirtschaftliche Frauenschule Mallinckrodthof bei Paderborn.

1917 verließ sie die Ausbildungsstätte, um sich zwischen Mai und August einer praktischen Ausbildung in der Gärtnerei Immenhof in Dessau zu unterziehen.[1] 1918 folgte ein praktisches Training in einem Säuglings- und Kinderheim in Köln. Schließlich absolvierte sie ein Praktikum auf einem Bauernhof für Obst- und Gemüseanbau bei Hamburg, ggf. im Alten Land. 1919 bis 1920 kehrte sie an die Ausbildungsstätte nach Paderborn zurück. Auch aus dieser Lebensphase sind Mitschriften und Fotos erhalten.

Von April bis Oktober 1920 machte sie eine Art Referendariat in einer einer Schule für Hauswirtschaft und Gartenbau bei Hamburg. Im Anschluss studierte sie bis 1922 in Bonn an der 1847 gegründeten Landwirtschaftlichen Hochschule Bonn-Poppelsdorf, ab 1934 die Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn. Nochmals folgten praktische Ausbildungsphasen als Geflügel-Züchterin an der Lehranstalt der Landwirtschaftskammer der Rheinprovinz und von August 1922 bis Januar 1923 nochmals in einer Gärtnerei, diesmal in Köln. In den von der Inflation geprägten Jahren arbeitete sie in Köln in einem Geschäft (bis Juli 1924).

Berufstätigkeit

Ab Ende 19126 bis 1931 wurde sie Leiterin/Direktorin der jüdischen [Wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande in Wolfratshausen bei München] im Isartal. Träger war der Jüdische Frauenbund, Ortsverein München, - diese erste landwirtschaftliche Schule für jüdische Mädchen nahm im Mai 1926 ihre Arbeit auf. Hier kamen Mädchen hin, die nach Abschluss der Schulzeit in einem Lehrjahr eine hauswirtschaftliche Ausbildung erhalten wollten und einen Lyzeumsabschluss erworben hatten. War die Schule ursprünglich gedacht, um auf die künftige Aufgabe als Hausfrau und Mutter vorbereitet zu werden bekam sie große Relevanz zur Vorbereitung auf die Alijah. Sie wurden in einem zweisemestrigen Kurs in land- und hauswirtschaftliche Arbeiten eingeführt. Lehrerinnen unterrichteten Hauswirtschaft, Nähen, Tierzucht, Ökonomie und Gartenbau, aber auch Philosophie.[2] Viele Schülerinnen lernten erstmals in der Schule das kulturerlle und religiöse Judentum und die koschere Küche kennen. Rabbiner Leo Baerwald, dessen Tochter Gabriele selbst die Schukle besuchte, oder Rabbiner Ernst Ehrentreu kamen aus München angereist, um die »strenge rituelle Grundlage« der Schule zu überwachen. Es existierte bereits ein streng rituell geführtes Heim für Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahren als Land- und Erholungsheim, dort konnten z.B. Themen wie Babyernährung praxisnah unterrichtet werden. Mit dem Abschluss erwarben die Schülerinnen eine Berechtigung, um weiterführende wirtschaftliche, soziale und pädagogische Schulen zu besuchen. Dass sie die Leitung erhielt legt nahe, dass sie aus einem koscheren Elternhaus stammte, was in der Biografie von Rosa Bodenheimer bisher nicht dokumentiert ist.

1931 erwarb Hannah Bodenheimer ein Diplom als Lehrerin der Agrawissenschaften. Danach verließ sie Bayern und unterzog sie sich in Berlin einer weiteren Ausbildung, um Ausbildungslehrerin für Hauswirtschaft bzw. Gewerbelehrerin an hauswirtschaftlichen Fachschulen zu werden (bis März 1932).[3]

Am 1.4.1932 hielt sie ihr Zertifikat als Gewerbe- und Handelslehrerin an Hauswirtschaftsschulen in Händen. Damit kehrte sie nach Köln zurück, um sich auf die Eröffnung einer eigenen Mädchenschule vorzubereiten (Oktober 1932 bis März 1933), die sie leiten wollte. Diese Pläne wurden aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen durchkreuzt.

Nationalsozialismus und Exil

Mit ihren Eltern und ihrer Schwester wanderte sie bereits im Frühjahr 1933 aus. Während diese jedoch am 3. April 1933 zunächst nach England reisten und kurze Zeit später nach Antwerpen zu emigrieren wählte Hannah Bodenheimer Palästina als erstes Exilland, wo bereits seit 1922 ihr Bruder lebte. Sie musste wie ihre anderen Familienmitglieder zunächst Neu-Hebräisch lernen.

Sie blieb ihren Themen treu und arbeitete ein Jahr an einer landwirtschaftlichen Mädchenschule, der 1923 von Kanadier:innen gegründeten Hadassah Agricultural School in Nahalal für eingewanderte osteuropäische Mädchen.[4] Danach lehrte sie an dem College für Agrarwissenschaften Megged in Pardess Hannah. 1934 gab sie drei Monate Hauswirtschaftsunterricht an der Meshek Poalot (Meshek ha-Po’alot) Schule in Afulah.Referenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag. Es folgte eine Zeit am Agricultural College of the Farmer’s Association bei Hadera, 1936 an der Beit Zeiroth Misrachi/Mizrachi in Jerusalem. Es handelte sich dabei um das erste Projekt der us-amerikanischen Frauenorganisation AMIT’s, die 1933 gegründete erste berufsbezogene High School für jüdische Mädchen in Palästina.[5]. Inwieweit sich Hannah Bodenheimer mit den jeweiligen Ausrichtungen der Schulträger identifizierte muss noch erforscht werden.

Nun lebte sie in der gleichen Stadt wie Vater, Schwester und Bruder, die Mutter Rosa Bodenheimer war 1935 verstorben. 1938 erwarb sie die palästinensische Staatsbürgerinnenschaft.[6] Ein Antragsdokument wies sie als Lehrerin aus. Als Bürgen konnte sie einen bedeutenden Mann benennen, den Schwiegervater ihres Bruders und anerkannten russischen Zionisten Menahem Ussishkin, der langjähriger Präsident des Jüdischen Nationalfonds gewesen war.[7] Sie wohnte bereits in der Sa(a)dia Gaon Street, jedoch Nummer 6 (zum Lebensende Nr. 8).

Erstaunlicherweise unternahem sie 1939 eine Reise durch Europa und fuhr auch nach Deutschland. Dann fehlen für einige Jahre Hinweise auf ihren Lebensunterhalt und Aufenthaltsort.


Nachkriegszeit: Chronistin, Arbeit in Köln

Spätestens 1946/47 folgte eine radikale Wende in ihrem Berufsleben, sie wurde nun Chronistin der deutschsprachigen (rheinischen) Zionistischen Bewegung und des Wirkens ihres Vaters, der 1940 verstorben war (ihre Schwester starb 1941). Ein erster Text war "Toldot Tochnit Basel.[8] Zugute kam ihr vermutlich, dass 1949 der Nachlass des wichtigsten deutschsprachigen Zionisten Theodor Herzl nach Israel überführt worden war. Darin waren auch Dokumente über ihren Vater und gemeinsame Reisen mit Herzl erhalten. Nach weiteren Publikationen zog sie 1953 für einige Jahre nach Köln, wo der Staat Israel in der Subbelrather Straße 15 eine Israel Mission zur Abwicklung von Wiedergutmachungsleistungen eröffnet hatte. Bis 1956 arbeitete sie dort als Referentin (Secretary), hatte Zugang zu dem großen Archiv; sie verbrachte aber auch jedes Jahr einige Monate in Israel.

1958 veröffentlichte sie die Schrift ihres Vaters: Max I. Bodenheimer: So wurde Israel.[9] 1965 folgte Im Anfang der zionistischen Bewegung, 1978 Der Durchbruch des politischen Zionismus in Köln. Dieses Buch widmete sie ihrem Vater und der Stadt Köln. Weitere Schriften auf Deutsch, Englisch und Hebräisch folgten. Sie wurde eine anerkannte Expertin für die Geschichte des Zionismus im deutsche Kaiserreich, fand Eingang in viele internationale biografische Lexika. Auch korrespondierte sie mit früheren Schülerinnen aus Wolfratshausen, die überlebt hatten.

1976 verkaufte sie ein Stück Land aus ihrem Besitz und erwarb die Wohnung in Jerusalem, in der sie lebte.[10]Sie starb dort 1992.

Literatur über Hannah Bodenheimer und ihren Stationen

  • Bäuml-Stosiek, Dagmar (2007): "Wir lebten in einer Oase des Friedens ...". Didaktisches Begleitmaterial zur Ausstellung über die jüdische Mädchenschule in Wolfratshausen (1926 - 1938), o. O.: o. V. , 2007, und Dölling u. Galitz, 2009.
  • Koernicke, M./Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn und Landwirtschaftliche Hochschule Bonn-Poppelsdorf (1930): Landwirtschaftliche Hochschule Bonn-Poppelsdorf, Bonn 1930].
  • Carmel Hakim, Esther (2004): Canadian Hadassah-WIZO and the Establishment of the Women’s Agricultural School at Nahalal, in: Canadian Jewish Studies / Études juives canadiennes Vol. 12
  • Bernstein, Deborah S. (1986): The Struggle for Equality. Urban Women Workers in Prestate Israeli Society, New York: Praeger.


Literatur von Hannah Bodenheimer

  • 1928 Warum und wie führen wir die jüdische Frau zur Landwirtschaft? in: Heft 2 (01. Februar 1928), S. 19.

Bayerische israelitische Gemeindezeitung (München), Heft

  • 1930 Wolfratshausen, in: Bayerische israelitische Gemeindezeitung (München), Heft 7 (01. April 1930), S. 107.
  • 1931 Wolfratshausen, in: Bayerische israelitische Gemeindezeitung (München), Heft 9 (01. Mai 1931), S. 133
  • 1947 Toldot Tochnit Basel /Toldot tokhnit Bazl (Vorgeschichte des Basler programms)
  • 1948 Die neue Generation: Answers to "Our Parents and We", in: Aufbau, H. 23, 04.06.1948, Bd. 14,S. 25.
  • 1950 (Unveröff. Manuskript) Dr. M.I. Bodenheimer: Wohin mit den russischen Juden? und ihr Widerhall
  • 1952 Darki LeZion, Sichronot
  • 1958 (Hg.) So wurde Israel. Aus der Geschichte der zionistischen Bewegung. Erinnerungen von Dr. M.I. Bodenheimer,Frankfurt/Main Europäische Verlagsanstalt (2. Aufl. Köln R. Biesenbach, 1984)
  • 1963 Prelude to Israel. The Memoirs of M.I. Bodenheimer. Edited by Henriette Hannah Bodenheimer, translated by Israel Cohen. New York, London T. Yoseloff (= wo wurde Israel).
  • 1964 The Statutes of the Keren Kayemeth. A study of their origin, based on the known as well as hitherto unpublished sources, in: Herzl Year Book. Vol. 6. 1964/65.
  • 1965 Im Anfang der zionistischen Bewegung. Eine Dokumentation auf der Grundlage des Briefwechsels zwischen Theodor Herzl und Max Bodenheimer von 1896 bis 1905, Frankfurt a. M., Europäische Verlagsanstalt.
  • 1971 The three delegates' Conferences of German Zionists, in: Herzl Year Book. Vol. 7.
  • 1972 (mit Bodenheimer, Max): Die Zionisten und das kaiserliche Deutschland, Bensberg, Schäuble Verlag 1972 (2. verb. Aufl. Jerusalem, 1981) online
  • 1978 (Bearb.): Der Durchbruch des politischen Zionismus in Köln 1890-1900. Eine Dokumentation - Briefe, Protokolle, Flugblaetter, Reden, Köln, Bund Verlag
  • 1980 Übersetzung Die Zionisten und das kaiserliche Deutschland (ins oder aus dem Hebräischen) .
  • 1983 Die Geburtswehen der zionistischen Organisation. Jerusalem (Von den Geburtswehen der zionistischen Organisation ), Jerusalem, Kiriat Sefer Ltd.
  • 1986 Max Bodenheimer. Ein zionistisches Lebensbild, nach seinen Schriften und Briefen, Köln d + p
  • 1990 Max Bodenheimer (1865-1940). Political Genius for Zionism, Edinburgh
  • 1991 Max Isidor Bodenheimer (1865-1940), in: Rheinische Lebensbilder 12 (1991), S.233-256.
  • 1991 Hebr. Übersetzung von Max Bodenheimer (1865-1940). Political Genius for Zionism (Rîšôn haṣ-ṣiyyônîm : Mâqs Bôdenhaimer (1865 - 1940) we-rêšît haṣ-ṣiyyônût ham-medînît / mēʾēt Ḥannā Bôdenhaimer. Targûm mig-germānît Estēr Hāgār)
  • Be-reshit ha-tenuʿah
  • 1991 100 Jahre politischer Zionismus. Max Bodenheimers revolutionäre Schrift von 1891 "Wohin mit den russischen Juden?", neu herausgegeben von Hannah Henriette Bodenheimer, mit einer Einleitung von Fritz Schatten, Köln : Interpress Publikations Verlags- und Vertriebswesen.

weblinks


Archivalen

Einzelnachweise

  1. Für ihre Berufswahl mag eine Rolle gespielt haben, dass ihr Vater 1893 zusammen mit dem Kölner David Wolffsohn den "Kölner Verein zur Förderung von Ackerbau und Handwerk in Palästina" gegründet hatte. Sie war vermutlich eine 'Vatertochter'.
  2. Vgl. Warum und wie führen wir die jüdische Frau zur Landwirtschaft?, in: Bayerische israelitische Gemeindezeitung, H. 2 1928, 4. Jg., S. 19-20; in ihrem Nachlass sind Briefe, Unterrichtsnotizen, Jahresberichte, Schulordnungen, Rede, Artikel, Kochrezepte, Schülerinnenverzeichnisse u.v.a. erhalten.
  3. In Wolfartshausen follgte von 1931 bis 1934 Elisabeth Mirabeau, von 1934 bis 1938 Caroline K. Meier als Direktorinnen, 1938 wurde die Schule geschlossen. Viele Schülerinnen wurden ermordet, vgl. https://www.alemannia-judaica.de/wolfratshausen_erholungsheime.htm
  4. Sie wurde 1942 von Hadassah-WIZO Canada übernommen.
  5. Die AMIT - Mizrachi Women’s Organization of America - hatte sich 1925 aus der Hilfsfunktion in der männlich dominierten religiösen Zionist Mizrachi organization herausgelöst, aber erst 1934 waren sie - wegen Widerständen der Männer - komplett autonom, vgl. https://jwa.org/encyclopedia/article/amit und https://www.jewishvirtuallibrary.org/amit.
  6. Dokumente liegen im ISA.
  7. Im Dokument steht allerdings S. Ussishkin.
  8. Nach Angaben von Eva Ferrero: תולדות תוכנית באזל. מלחמת-הדעות לפני הקונגרס הציוני הראשון לפי חליפת המכתבים בין פרופ' הרמן שפירא ובין דר' מקס א. בודנהיימר. ירושלים, תש”ז (1947)
  9. Eine zweite Auflage erschien 1984.
  10. Sie lebte fortan in der Saadia Gaon Street 8 in Jerusalem.

FrauenGeschichtsWiki ist ein Projekt des Kölner Frauengeschichtsverein e.V. Viele Informationen stammen aus unserem Vereinsarchiv. Zu diesem Artikel trug Eva Ferrero von The Society for the Commemoration of Max I. Bodenheimer and of Henriette Hannah Bodenheimer, c/o The Central Zionist Archives bedeutende Informationen bei. Wir freuen uns über weitere Hinweise an wiki@frauengeschichtsverein.de .