Aktion 218 Köln

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Aktion 218 Köln (* Mai 1971; † Oktober 1973) war die lokale Initiative der bundesweit agierenden Bewegung gegen den § 218 StGB in den frühen 1970er Jahren.

Entstehung

Im Mai 1971 gründete sich die - zunächst gemischte - Gruppe "Kölner Aktion 218"; sie beabsichtigte, zu der von Alice Schwarzer initiierten Selbstbezichtigungskampagne in der Illustrierten Stern beizutragen.[1] Der Stern-Artikel erschien am 6. Juni 1971 mit der Nennung von 374 westdeutschen Frauen, die öffentlich erklären: "Ich habe abgetrieben".[2] Ziel war, die ersatzlose Streichung des § 218, der noch eine mehrjährige Gefängnisstrafe für eine Betroffene vorsah, zu erreichen.

An prominenten Frauen waren u.a. Romy Schneider, Veruschka von Lehndorff und Senta Berger dabei. Mehrheitlich aber waren es Lehrerinnen, Hausfrauen und Studentinnen, einige wenige Arbeiterinnen. Auch Kölnerinnen hatten unterschrieben, z.B. Carola Stern, Gertraut Müller und Margit E.[3] Nicht alle der Frauen, die so gegen den § 218 kämpfen wollten, hatten wirklich abgetrieben.[4] Gegen einige Frauen, die den Aufruf unterschrieben hatten, wurden Strafanzeigen gestellt. Im Kölner Stadtanzeiger vom 6. Juli 1971 hieß es: "Erste Ermittlungen in Köln wegen Abtreibungsbezichtigungen."


Kampagnen

Die Frauen ließen sich von den kriminalisierenden Aktionen der Staatsanwaltschaft nicht einschüchtern, die Solidaritätskampagnen gingen jetzt erst richtig los. Es bildeten sich nach und nach in vielen Städten Gruppen namens Aktion 218; in Düsseldorf fand ein erstes Delegiertentreffen statt. Der Kampf um die Straffreiheit der Schwangerschaftsunterbrechung wurde zum Hauptthema der zahlreichen lokalen Aktionsgruppen, die weiterhin Selbstbezichtigungen und Unterschriften sammelten. U.a. durch Stände in der Innenstadt im samstäglichen Verkaufsgewühl gewannen die Kölner Frauen Mitstreiterinnen und machten immer schlagkräftiger auf die Thematik aufmerksam. "In der Schildergasse und am Rudolfplatz vor dem Hahnentor wurden in den Wochen nach der spektakulären Stern-Aktion regelmäßig Informationstische aufgebaut und weitere Unterschriften gesammelt. Die Reaktionen reichten von Beschimpfungen bis hin zu begeisterter Zustimmung - gerade auch von ältere Frauen."[5]

Zu Beginn gab es eine enge Kooperation mit der gemischten Gruppe Heinzelmenschen, die die Zeitschrift Heinzelpress herausgab, "antiautoritäre Spontis" charakterisierte sie eine Zeitgenossin.[6] Gemeinsam sammelten sie "öffentlich auf der Fußgängerzone Spenden für eine Arbeiterfrau, um ihr eine Abtreibung im Ausland zu ermöglichen. Das Geld kam problemlos zusammen: Innerhalb von zwei Stunden waren etwa 1000 DM gesammelt - und dabei waren die SpenderInnen darüber aufgeklärt worden, daß sie sich der Beihilfe zur Abtreibung - also einer Straftat - schuldig machten."[7] Die Betroffene fuhr nach Jugoslawien und blieb noch länger dem Anliegend er Aktion 218 treu, redete auf Kundgebungen usf. Sie trat mit ihrem eigenen Namen auf und wurde später im Stern als Beispiel einer Arbeiterfrau, die schon vier Kinder hatte und sich keins mehr erlauben konnte, portraitiert.[8]

Ende September 1971 versuchte die Kölner Aktion 218 ein sog. "Go-In" während der Verbandstagung der niedergelassenen Ärzte im Gürzenich. Die Ärzte verhinderten trotz vorheriger Zusage, dass die Frauen ihr Anliegen vor der Ärztinnen schar vortragen konnten, es waren bei der Rede von Ingund Mewes nur noch wenige anwesend.[9]

Im Oktober 1971 beteiligten sich einige aus der Aktion 218 an einem sog. Politischen Nachtgebet zum Thema Abtreibung.[10] Gisela Sch."nannte in ihrem Referat die zentralen Argumente gegen den Abtreibungsparagraphen: Er sei frauenfeindlich, kinderfeindlich und habe Klassencharakter. Als Forderung der Aktion 218 nannte sie neben der ersatzlosen Streichung des § 218 die Krankenkassenfinanzierung der Abtreibung, Verhütungsmittel auf Krankenschein, Schwangerschaftsurlaub für Vater oder Mutter von mindestens einem Jahr und mehr Kindergartenplätze."[11] Am 22. November 1971 fand die erste größere Demonstration zu dem Thema in Köln statt. Zeitgleich mit Frauen überall in Westeuropa (in Paris z.B. Simone de Beauvoir) sprachen Kölnerinnen wie Ingund Mewes vor dem Opernhaus zu dem Thema Abschaffung des § 218. Sie war schon vor der Stern-Kampagne in der Humanistischen Union engagiert, die bereits vor 1971 sich der Thematik angenommen hatte.[12]


Schon im Januar 1972 stellten die Kölnerinnen heraus: "Es ist notwendig, daß die Aktion 218 über ihr ursprüngliches Ziel (Abschaffung des § 218) hinausgeht. Der § 218 ist nur ein Symptom für die Unterdrückung der Frau."[13] Zwischen Januar und Mai 1972 startet die Kölner Aktion 218 eine Fragebogenaktion, bei der sie mehrere hundert Kölner Ärzte und Ärztinnen nach ihrer Verschreibungspraxis der Pille für minderjährige Frauen befragte. "Aus dem geringen Rücklauf wurde eine Liste der verschreibungswilligen Ärzte zusammengestellt. Die Gruppe wurde zur Anlaufstelle für Adressentips - nicht nur von akzeptablen GynäkologInnen, sondern auch von Abtreibungsmöglichkeiten."[14]

Es folgte im April 1972 eine medienwirksames `Go-In` mit Parolen, Tüchern und Flugblättern beim öffentlichen Hearing vor dem Strafrechtssonderausschuss des Bundestages zum § 218 in Bonn. Der Strafrechtssonderausschuss des Bundestages hatte für den 10.04. zu einem Expertenhearing geladen, es wurden fast ausschließlich Männermeinungen angehört. "Mehrere Frauengruppen, darunter die Kölnerinnen, bereiteten generalstabsmäßig eine medienwirksame Protestaktion vor. Die Dortmunderinnen sollten das Startsignal geben."[15] Bei Julia Bähr heißt es: "Wir verteilten uns strategisch auf der dem Publikum vorbehaltenen Hälfte des Raums, ... Vorn redete einer der Gutachter ins Mikrofon. Ich war so nervös, daß ich nicht zuhören konnte ... Die Zeit verging ... ich starrte auf den Rücken der Dortmunderinnen, nichts tat sich. ... Als er etwas sagte, das so ähnlich klang wie 'das Ei verwirklicht sich selbst', sprang Barbara neben mir auf und schrie: 'Schluß mit dem Schwachsinn! Weg mit dem § 218!' Jetzt ging's los. Die Fernsehkameras schwenkten durch den Zuschauerraum, überall erhoben sich Frauen, hielten Transparente hoch und schrien wild durcheinander."[16] Diese Szene wurde mehrfach in den Nachrichten wiederholt.

Tribunal gegen den § 218 und Niedergang

Für den 11. Juni 1972 organisierte die Kölner Gruppe ein bundesweites Tribunal gegen den § 218 "Frauen klagen an", das im Gürzenich stattfand.[17] Gruppen aus vielen deutschen Städten hatten Beiträge geliefert, um die Berufsgruppen der Ärzte (Ärztinnen), Kirchenvertreter(innen), Politiker(inne)n, Jurist(inn)en und allen anderen, die Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper verweigern, öffentlich anzuklagen. Es waren berühmte Feministinnen wie Hilde Wackerhagen, Verena Stefan, Helma Sander oder Sarah Schumann anwesend. Das Kulturprogramm wurde u.a. von der noch unbekannten Sängerin Ina Deter bestritten, die später ein Lied zur Abtreibung aufnahm. Die Kölner Kabarettistin Wiltrud Fischer (Die Machtwächter) war vorher noch nie in Frauenzusammenhängen aufgetreten. Es wurde u.a. der Frauenprotestsong "Brot und Rosen" vorgetragen. Männer machten die Kinderbetreuung. Bei JournalistInnen kam das Tribunal gut an. Von Feministinnen anderer Städte wurde allerdings die Durchführung der Tagung heftig kritisiert. Laut der Einschätzung einer Zeitzeugin waren die Gruppen inhaltlich schlecht vorbereitet, viele Beiträge laienhaft, viele Beteiligte empfanden die Veranstaltung bzgl. der Außenwirkung als Desaster.[18]

Viele Frauen Wahlkampf für die Bundestagswahl am 3.12.1972 zugunsten der SPD betrieben, da diese die Hoffnung auf eine Änderung des § 218 geschürt hatte. zwar gewann die SPD gewinnt die Wahl, und zwar u.a. wegen der massenhaften Frauenstimmen, aber ihre Wünsche realisierten sich nicht.

Im Juni 1973 beteiligten sich Kölnerinnen an der zentralen Demonstration gegen den § 218 in Bonn (2.6.1973) oder an der Übersendung von Unterschriftenlisten für die Reform des § 218 an das Bundeskanzleramt (2.7.1973).[19]

Veränderungen im Gruppengefüge

Die wichtigsten Aktivistinnen zu Beginn waren Medienfrauen und Sozialarbeiterinnen, sodann einige wenige Männer. Neben Gertraut Müller, einer Sozialarbeiterin mit Kontakten zu den Ärmsten der Gesellschaft (obdachlose Frauen mit Kindern) waren z.B. Ingund Mewes (WDR und zweifache Mutter), Barbara Schleich (Rundfunk und Gewerkschaftspresse), Sieglinde Kistner oder Gisela Sch. (Sekretärin beim WDR) aktiv. Dann diversifizierte sich die Gruppe einerseits, verengte sich aber auf Frauen. Laut einer Überlegung von Verena Krieger hat die Eingebundenheit in Räume und Dachverbände der männlich dominierten Zusammenschlüsse bewirkt, "daß sie - vorerst - stets ihre Bereitschaft betonten Fraueninteressen den Erfordernissen des Klassenkampfes unterzuordnen. Die Unterordnung der Geschlechter- unter die Klassenfrage ging einher mit dem Bewußtsein, politisch noch nicht reif genug für die 'eigentliche' Politik zu sein [...]."[20] Krieger zitiert aus einem Paper vom Januar 1972 der Aktion 218 Köln: " Wir wollen uns erst durch Schulungen und Diskussionen dazu befähigen, dahin kommen, daß wir das Programm und die Aktivitäten einer Organisation im Hinblick auf die Interessen der Frauen und der Klasse der Lohnabhängigkeit beurteilen können!" [21] Zu diesen Schulungen kam es jedoch nicht mehr, dagegen zu einem Kurswechsel bei der Schwerpunktsetzung der Gruppe. Einige der Aktiven besuchten im März 1972 den ersten Bundesfrauenkongress in Frankfurt am Main; es kamen ca. 400 Frauen aus 40 Städten zusammen.[22] Diese Arbeitstagung brachte große Bewegung in die noch junge Kölner Frauenbewegung. Es wurden jenseits des § 218 erstmalig auch andere Themen wie Sexualität diskutiert; und es outeten sich dort erstmals Frauen vor einer größeren Öffentlichkeit als lesbisch, was heftige Diskussionen und Abwehrstrategien auslöste. Viele lesbische Frauen erkannten dort erstmals, dass das Thema § 218 nicht die gleiche Relevanz für sie hatte wie für heterosexuelle Frauen, waren aber trotzdem aus politischen Gründen bereit, weiter mitzumachen. Viele Frauen sahen nach dem Kongress die Unterdrückung der Frauen in einem umfassenderen gesellschaftlichen Kontext. Das spiegelt das neu gedichtete Lied „Frauen gemeinsam sind stark“ (Weiberrat Frankfurt), es vermittelte eine neue Emotionalität und Zusammengehörigkeitsgefühle. In sechs Strophen wurde "die Unterdrückung der Frau im Privat- und im Arbeitsbereich aufgezeigt."[23] Die autonome Frauenbewegung war in Sichtweite.

Die Forderung nach Arbeitsgruppentreffen allein unter Frauen (Separatismus), die u.a. die Kölnerin Gertraut Müller in Frankfurt machtvoll thematisiert hatte, wurde im Frühjahr an die Kölner Gruppe Aktion 218 herangetragen, kontrovers diskutiert - und durchgesetzt.

Hintergrund waren einige negative Erfahrungen aus gemischten Gruppen. „Im Republikanischen Club gab's Männer. Also sowieso, aber jetzt auch bei unserer Gruppenveranstaltung gab's Männer, die hatten freien Zutritt. Wir hatten nicht viele, es gab immer so ne Handvoll und die versuchten immer sofort absolut uns zu belehren.“[24] Auch die Schriftstellerin Anne Jüssen erinnert eine übergriffige Situation. Sie berichtet in einem Text über einen Abend in der Frauengruppe Aktion 218 Köln im Republikanischen Club Köln von ca. 1972, wo sie sich mit einer neuen Bekannten verabredet hatte. „… dort gab es eine neue Gruppe, nur Frauen, … - worum es da wohl ging? Ute Remus und Gertrud (sic, Gertraut) Müller saßen in der Runde, und alle wurden gestört von dem einen Mann in der Ecke, der immer alles besser wusste, … bis wir entschieden: Entweder der hält jetzt den Mund oder er fliegt raus. Natürlich hielt er nicht den Mund. Es ging um, den Paragraphen 218. Die Frauen kämpften wie gebrannte Kindern vehement gegen jede Form von Bevormundung, ganz besonders gegen das Abtreibungsverbot.“[25]

Am 26. Juni 1972 fasste die Kölner Aktion 218 den Beschluss, für einen „mittelfristigen“ Zeitraum Männer aus der Gruppe auszuschließen." Laut Verena Krieger wurde die temporär gedachte Entscheidung damit begründet, dass Frauen "ein eigenes, aus ihrer spezifischen Unterdrückung resultierendes Selbstverständnis gewinnen" sollten.[26] es galt, den Abbau von Redehemmungen vor Männern zu betreiben.[27] Auch die meisten heterosexuell lebenden Frauen stimmten der Maßnahme zu, allerdings kam es darüber zu Verwerfungen zwischen Gertraut Müller und einer weiteren 'Führungspersönlichkeit', sodass sich die beiden Frauen eine Zeitlang mit dem Besuch der Sitzungen abwechselten. "Einige wenige Männer bekämpften diese Entscheidung heftig; man versuche (sic), sie als Folge einer angeblichen Lesben-Dominanz zu diskreditieren."[28] "bei einer im September 1972 durchgeführten Umfrage unter den Aktiven befanden drei Viertel der Frauen, daß der Männerausschluß sich als 'günstig für eine fruchtbare Arbeit' erwiesen habe.[29]

Dieser Prozess, der zeitgleich in anderen Städten parallel verlief, veränderte sich der Charakter der Gruppe von einem punktuellen Aktionsbündnis zu einer Frauengruppe im engeren Sinne. Ende 1972 wurde der Aspekt § 218 immer stärker um andere thematische Aspekte erweitert und es erfolgte im Frühjahr 1973 (28.3.1973) die Umbenennung in Frauenbefreiungsaktion (Aktion 218), ab Oktober 1973 hieß die Gruppe nur noch Frauenbefreiungsaktion (FBA) ohne den früheren Zusatz.[30] Es bildeten sich immer mehr Frauengruppen in Köln. Zeitweilig bildete die Aktion 218 Köln einen sog. Koordinationsrat mit Vertreterinnen der sozialistisch-feministischen Gruppe SOFA, dem Frauenforum Köln e.V., der Deutzer Gruppe, einer Düsseldorfer und einer Solinger Gruppe, sowie der Homosexuelle-Frauen-Gruppe (15. Februar 1973). Später wurde die FBA eine Art Dach für viele Kölner feministische Frauengruppen mit eigenem Zentrum nahe des Volksgartens.


Treffpunkte

Zunächst gab es keinen festen Versammlungsort, aber es gab Treffen in der Bottmühle, die die Falken zugesprochen bekommen hatten. Ab Herbst 1971 traf sich die Gruppe dann in den Räumen des Republikanischen Club, Am Römerturm 17. Als dieser im Oktober 1972 die Räume aufgab, zog die Aktion 218 ins Heinzelhaus, Moltkestraße 27, dem Gründungsort der späteren „Frauenbefreiungsaktion“ (Aktion 218). Bevor sich die FBA ein eigenes Frauenzentrum in der Eifelstraße 33 schuf (1976, später als Theaterraum genutzt), wurde, da die FBA zwischenzeitlich um die hundert Frauen zählte, auf die Kneipe „Strüssje“ in der Thieboldsgasse nahe Neumarkt ausgewichen. Anne Jüssen erinnert sich noch an den Treffpunkt Gereonsmühlengasse vor Eröffnung des Zentrums.[31]


Interview Gertraut Müller[32]

Gertraut Müller erinnert sich, wie eines Morgens auf ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin in der Obdachloseninitiative Alice Schwarzer anrief, die derzeit in Paris lebte. Schwarzer berichtete über die geplante Selbstbezichtigungskampagne und fragte, ob in den Obdachlosensiedlungen nicht Frauen lebten, die abgetrieben hätten. Gertraut Müller war die Problematik neu, aber sie war interessiert und traf sich mit Alice Schwarzer. Sie brachte eine Bewohnerin aus der Siedlung Odenwaldstraße, die in einem Komitee tätig war, mit. Sie lernte dort die späteren Aktivistinnen Sieglinde Kistner, Gisela S. und Barbara Schleich kennen. Die Sozialarbeiterin erkannte sofort die Brisanz des gesellschaftlichen Anliegens auf Straffreiheit, denn eine Betreute hatte nur durch Fahrten nach Holland verhindern können, weitere Kinder mit einem sog. „Wasserkopf“ zur Welt zu bringen, von denen sie schon zwei geboren hatte. Gertraut unterschrieb sozusagen stellvertretend den mitgebrachten Aufruf, wobei sie ggf. nicht ahnte, dass ihr Name im Stern abgedruckt werden würde. Sie erinnerte sich in dem Interview, dass sich die anderen Medien über den Artikel "überschlugen" und sie selbst erst dadurch realisierte, wie prominent der Aufruf war. Sie befürchtete, ihre Mutter könne davon erfahren. Auch mit ihr persönlich gingen Veränderungen vor. Sie nutzte die berufliche Infrastruktur der Interessengemeinschaft Obdachlosigkeit (IGO), um Flugblätter herstellen zu lassen, besorgte sich ein Megaphon (genannt Flüstertüte) und ließ Unterschriftenzettel für die Aktion 218 drucken (die ersten ohne Aktion 218, die weiteren nur mit Aktion 218, nicht Aktion 218 Köln). Auf der Kölner Schildergasse baute sie gemeinsam mit Ingund Mewes einen Stand auf. Gertraut Müller wusste zunächst nicht, wie sie was erzählen solle, um Aufmerksamkeit für das Anliegen zu erwecken, dann setzte sie sich erhöht auf eine Mülltonne vor dem Kaufhof und las durch das Megaphon das Flugblatt vor. Die Leute fingen dann von selbst an zu diskutieren, wie sie erinnert. Es folgten dann jeden Samstag um 10 Uhr ähnliche Veranstaltungen, und es kamen immer mehr Aktive hinzu. Obwohl sie selbst das starke Gefühl hatte, ihre Mutter habe sie ggf. abtreiben wollen (diese wurde während der NS-Zeit von einem Zwangsarbeiter schwanger) legte Gertraut Müller bei der Straßenaktion großen Witz an den Tag. Als ein Priester sie einmal beschimpfte: „Sie hätte man besser abgetrieben!" entgegnete sie scharfsinnig: "Ich darf dem entnehmen, sie sind für die Abtreibung!". Damit rief sie brüllendes Gelächter bei den Umherstehenden hervor. Bei einem der Treffen in der Bottmühle, als die Gruppe noch geschlechtergemischt war, kam als Zuhörer der Vorsitzende der niedergelassenen Ärzteschaft dazu, Dr. Kaspar Roos, der herausfinden wollte, wie die Frauen ihre Intervention während der Verbandstagung der niedergelassenen Ärzte im Gürzenich planten. [33] Gertraut Müller erinnert, dass auch die Politiker Johanno Strasser und Karl Heinz Roth dort verkehrten. Zu Zeiten des Republikanischen Club sei ihr Ingrid Mathäus-Meier aufgefallen, die auch mal mit auf eine 218-Demonstration gekommen sei. Gertraut suchte später die Kneipe Strüssje, um Platz für die zunehmende Frauenmenge zu finden. Sie berichtet ferner, das Thema § 218 sei ca. ein Jahr "abendfüllend" gewesen, zu der frühen Zeit der Frauenbewegung hätten die Feministinnen noch nicht viel über sich selbst geredet.

Gertraut Müller beschreibt ihre Erinnerungen an die Kundgebung vorm Opernhaus vom November 1971, es habe sie beeindruckt, wie (vormals) obdachlose Frauen wie Margit E. oder Anita D. auf dem Lastwagen ihre Geschichte erzählten. Sie habe dies als rein politische Arbeit begriffen, aber keine Frau habe eine persönliche Misere damit in Verbindung gebracht. Der Kontakt zu Alice Schwarzer blieb bestehen, sie besuchte die Journalistin bisweilen mit ihrer damaligen Partnerin Claudia P. in Paris. Das Kölner Tribunal vom Juni 1972 basierte auf der Idee: Frauengruppen aus der ganzen BRD stellen ihre Sicht der Dinge dar. Gertraut Müller kümmerte sich um das Organisatorische. Sie hatte vorgegeben, dass mit dem Gürzenich die beste und teuerste und älteste Versammlungsstätte Kölns gewählt wurde, nach dem Motto: Das Beste ist für Frauen gerade gut genug, diese Entscheidung wurde jedoch von vielen Frauen von außerhalb kritisiert. Eine Kölner Journalistin torpedierte einzelne Beiträge mit der Frage nach den Arbeiterinnen. Gertraut Müller erkannte, dass sie die Raumfrage falsch entschieden hatte, der Gürzenich wirkte auf Frauen von außerhalb dämpfend, sie dagegen fand den geschmückten frauengefüllten Gürzenich großartig.

Zum Männerausschluss erinnerte sie: Es wurde ihr nach der Frankfurter Tagung telefonisch mitgeteilt, eine Mistreiterin verbreite die Nachricht, „die Lesben würden jetzt die Macht in der … Gruppe übernehmen und trommelt also die Leute zusammen … wappne dich mal. Und dann war unser nächstes Plenum im Republikanischen Club …, es war gerappelt voll und ich seh noch den Niko, der damals Kneipendienst machte, der kam also mit Kölsch da rein und es war ne Stille, als wenn wir auf der Atombombe ne Explosion warteten. Der verteilte sein Kölsch und sagte zu mir: 'Sag mal, was ist denn hier heut Abend los?' Sag ich: 'Hier knallt's gleich, mach dat de rauskommst.'“ Die Kontrahentin „empfahl mir doch, wenn ich mit Frauen leben wollte, das sei ja unbenommen. Jeder solle auf seine Fasson selig werden, dann solle ich mich doch den homosexuellen Gruppen anschließen, denn dort sei mein Platz, aber nicht in der Frauenbewegung, die habe schließlich andere Ziele. … ,ganz langsam bin ich aufgestanden, ganz langsam, und dann bin ich nicht mehr aufgeregt bei solchen Situationen und da hab ich gesagt, …, vielleicht hast du nicht begriffen, was die Frauenbewegung ist. Denn sonst könntest du mir nicht den Rat geben, dass ich mich mit Männern organisieren soll und im Übrigen, denke ich, ich bin nicht die einzige Lesbe, die hier ist - inzwischen ging man also auch mit diesem Wort um, frau auch mit diesem Wort um - und ich denke, wenn wir sie denn alle mal fragen würden, dass bis jetzt sich niemand getraut hat, über dieses Thema zu sprechen um hier nicht an politischer Verve zu verlieren und wenn ich jetzt ne Gruppe anbieten würde und das mache ich hiermit, dann werden wir auf ganz andere Dinge kommen als das.“[34]


Literatur

  • Bähr, Julia [ =Claudia Pinl]: Klatschmohn, Köln 1984.
  • Krieger, Verena: Vom Kampf gegen den § 218 zur Frauenbefreiungsaktion, in: Helga Bargel et a. / Kölner Frauengeschichtsverein (Hg.): Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Zur Geschichte der Organisationen und Vereine, Münster 1995, S. 319-330
  • Böller, Eva: Gekündigt wegen Unterstützung der Stern - Aktion gegen den § 218, in: Recht, Menschenrecht; Frauenrecht in der EG und in der BRD

1989 Heft: 3, 10-11 S.

  • "Ich habe abgetrieben". Die Aktion 218 und ihre Folgen, in: Schwesternlust und Schwesternfrust. 20 Jahre Frauenbewegung, 1991 Heft: 8, S. 54-61.
  • Schwarzer, Alice: Aktion 218 und Frauenkongress - ist das der Aufbruch der deutschen Frauen? 1972, 38 S. in Archiv Belladonna, Bremen, Sign. GM-54
  • Rusch, Regina: Aktionen und Reaktionen bis Sommer '71. Chronik laufender Ereignisse zum § 218 seit Bad Boll bis Redaktionsschluss (Ende September 1971), in: Paragraph 218. Dokumentation eines 100jährigen Elends, Hamburg 1971, S. 84-111.
  • Hübner, Irene: Die "Aktion 218", in: Keiner schiebt uns weg. Zwischenbilanz der Frauenbewegung in der Bundesrepublik, hrsg. von Doormann, Lottemi, Weinheim, Basel 1979, S. 158-163.


Archivalien

Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins

  • Zur Aktion 218: Best.1 / 7; Best. 1 / 9; Best. 1 / 10; best. Best. 82 / 6
  • Zur Aktion 218: Best. 75 Mappe 1 Claudia Pinl ; Best. 73 Mappe 2 Beate F.; Best. 65 / 1 Gertraut Müller ; Best. 72 / 3 Hannelore B.
  • Zum Tribunal: Bestand 1 / 18, Best. 1 / 3

weblinks


Einzelnachweise

  1. Die Journalistin transponierte damit ein gelungenes Beispiel aus Frankreich nach Deutschland, hier hatte am 5. April 1971 das französische Wochenmagazin Nouvel Observateur ein „Manifest der 343“ veröffentlicht, in welchem 343 Französinnen bekannt hatten: „Ich habe abgetrieben“ („Je me suis fait avorter“), darunter Françoise Sagan, Jeanne Moreau, Marguerite Duras und Simone de Beauvoir.
  2. "Wir haben abgetrieben", in: Stern, H. 24 vom 06.06.1971.
  3. Vgl. Verena Krieger: Vom Kampf gegen den § 218 zur Frauenbefreiungsaktion, in: Helga Bargel et a. / Kölner Frauengeschichtsverein (Hg.): Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Zur Geschichte der Organisationen und Vereine, Münster 1995, S. 319-330, hier S. 319.
  4. Vgl. http://www.sueddeutsche.de/kultur/frauen-und-maenner-neueste-ermittlungen-im-krisengebiet-ich-habe-nicht-abgetrieben-1.436093 Steffen Kraft: Ich habe nicht abgetrieben, in Süddeutsche zeitung, 17. Mai 2010.
  5. Krieger, S. 330.
  6. Krieger, S. 330.
  7. Krieger, S. 330 mit Verweis auf das Dokument: Entstehung und Entwicklung der Frauenbefreiungsaktion Köln, Dezember 1973, S. 2, Archiv Kölner Frauengeschichtsverein Best. 1 Mappe 10.
  8. Stern, 1973.
  9. Vgl. Interview mit Ingund Mewes, Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins; vgl. Best. 1 / 7 Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion: Manuskript des Referats von Ingund Mewes gehalten im Namen der "Aktion 218" auf der Jahreshauptversammlung der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, 18.9.1971.
  10. Vgl. Best. 1/ 7 Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion Flugblatt mit Ankündigung des Politischen Nachtgebets "Ja zum Leben, nein zu § 218" am 5. und 6.10.1971; Ablaufplan des Politischen Nachtgebets am 5.10.1971; vgl. den Link zum zukünftigen Beitrag im Deutschen Digitalen Frauenarchiv.
  11. Krieger, S. 321.
  12. Vgl. Best. 1/ 7 Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins Ansprache von Ingund Mewes: "Weg mit dem § 218" von Ingund Wolff-Mewes bei der Demonstration gegen den § 218 auf dem Offenbachplatz am 20.11.1971 (Kopie); vgl. Best. 1 Mappe 7 Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion "Massive Angriffe auf den § 218. Initiative der Humanistischen Union wirkt sich aus", Mitteilungen der Humanistischen Union Nr. 51, Juni/Juli 1971;
  13. Krieger, S. 321, zit. nach Best. 1 / 7 Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion.
  14. Krieger, S. 322.
  15. Krieger, S. 322.
  16. Bähr. S. 29 f. aufd er Seite des FMT heißt es: "Während eines Sachverständigen-Hearings im Bundestag zum § 218, in dem Politiker, Ärzte, Mediziner und Kirchenmänner sitzen, entrollen Frauen der Aktion 218 im Sitzungssaal ein Transparent: 'Schluss mit dem Schwachsinn – weg mit 218!'“, FMT, Chronik der Neuen Frauenbewegung, online: http://www.frauenmediaturm.de/themen-portraets/chronik-der-neuen-frauenbewegung/1972/.
  17. Vgl. Best. 1 / 3 "Tribunal gegen den § 218" am 11.6.1972 in Köln: Inhaltliche Vorbereitung, Durchführung, Auswertung.
  18. Vgl. Interview Gertraut Müller im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins.
  19. vgl. Archiv Kölner Frauengeschichtsverein Best. 1 Mappe 10: Flugblatt der Frauengruppe Aachen mit einer Erklärung des neuen Logos "Faust im Frauenzeichen"; Begleitschreiben zur Übersendung von Unterschriftenlisten für die Reform des § 218 an das Bundeskanzleramt, 2.7.1973.
  20. Krieger, S. 322.
  21. Best. 1 / 7 Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion, Diskussionsstand Jan. 1972.
  22. Vgl. Herrad Schenk: Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1990, S. 87.
  23. vgl. Wolfgang Sterneck: DAS ZEICHEN DER FRAU - FRAUEN- UND LESBENMUSIK, online: http://www.sterneck.net/musik/frauenmusik/index.php und gedruckt: Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft, 1998. In dem Lied heißt es: ”In der Werbung Puppen, Arbeit in Leichtlohngruppen. Wir sind stets nur Objekt: Schlank sei die Hüfte, groß dafür die Brüste, auch wenn die Psyche verreckt. Frauen zerreißt eure Ketten. Schluß mit Objektsein in Betten. Frauen gemeinsam sind stark. Wir sollen dienen als Gebärmaschinen, aber wir wollen das nicht mehr. Ob Lohn oder Beischlaf, wir sollen unten liegen, passiv uns in alles fügen. Umsturz ist mehr als Enteignung: Umgang von Freien mit Freien. Frauen gemeinsam sind stark.”, zu hören ist es auf der LP: Von heute an gibt’s mein Programm, Frauenoffensive München 1973.
  24. Auszug aus einem Interview mit Gertraut Müller im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins.
  25. Anne Jüssen: 'Liane'. Sechs Monate Frauen-WG, in: Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln - alternativ, links, radikal, autonom, Köln 2014, S. 115-117, hier S. 115.
  26. Krieger, S. 321 mit Bezug auf Protokoll der Aktion 218 vom 26.6.1972. Vgl. Bähr, Julia [=Claudia Pinl]: Klatschmohn. Eine Geschichte aus der Frauenbewegung, Köln 1984, S. 40.
  27. vgl. Krieger, S. 321.
  28. Krieger, S. 321.
  29. Krieger, S. 312.
  30. vgl. Archiv Kölner Frauengeschichtsverein Best. 1 Mappe 10.
  31. Anne Jüssen: 'Liane'. Sechs Monate Frauen-WG, in: Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln - alternativ, links, radikal, autonom, Köln 2014, S. 115-117, hier S. 115.
  32. Im Archiv des Kölner Frauengeschichtsvereins befinden sich drei MC-Cassetten mit einem Interview der Zeitzeugin; sie sind digitalisiert.
  33. Er äußerte sich anschließend in einem Artikel im KStA dahingehend, die Frauen sähen doch sehr gut aus, sie seien als Dekoration für den kargen Raum willkommen, vgl. Kölner Stadtanzeiger vom ###.
  34. Band, Minutenangabe ca. 40.00-44.35.

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