Ratsturmfigurendebatte

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Als Ratsturmfigurendebatte (* 1985-1987) wird ein Diskurs der 1980er Jahre bezeichnet, in dessen Verlauf die Repräsentation von historischen Frauen der Kölner Geschichte auf dem Ratsturm zum Thema gemacht wurde.

Der Ratsturm

Der spätgotische Rathausturm aus dem frühen 15. Jahrhundert war einmal das höchste europäische profane Turmgebäude. Das Bauwerk aus den 1410er Jahren ist ein baulicher Bestandteil des Rathauskomplexes; er war an einen gotischen Bau angebaut. Mit seinen mehr als 60 Metern beherrschte er zusammen mit Groß St. Martin die Kölner ‚Skyline’. Das Bauwerk wurde begonnen, als der Dombau schon nur noch schleppend voran ging. Der Turmbau verdankt seine Existenz dem Sieg der Kölner Gaffeln und Zünfte über die Patrizier:innen, sie waren die potenten Auftraggeber:innen.[1] Um zu demonstrieren, dass Köln war fortan eine freie Reichsstadtwar, wurde ein Gebäude im Stil der niederländischen Belfrieds bzw. französischen Belforts in Auftrag gegeben. Entgegen seiner Wahrnehmung handelte es sich demnach um ein weltliches Gebäude, auch wenn er stilsitisch - spätgotisch - in Teilen - Kirchenarchitektur nachahmte.[2] Wie die Kirchtürme und die auch in Köln üblichen Geschlechtertürme (meist eher Treppentürme) war der Ratsturm ein Zeichen der Macht, der Turm am Bürgerhaus symbolisierte die Eigenständigkeit des Rates.

Die "erste Generation" von kunstreichen Steinfiguren spiegelte die bedeutendsten Heiligen, sondann weltliche Persönlichkeiten - überwiegend Männer - der römischen bis spätmittelalterlichen Stadtgeschichte (um 1410). Die Heiligen standen und stehen an der Spitze am 4. Obergeschoss (im Himmel) und über den gotisierenden Eingangsportalen, die profanen und geistlichen Herrscher:innen unten. Im unteren Bereich wurde manche Figur von einer witzigen bis grotesken Sockelfigur getragen, wie etwa einem Teufel, der eine Begine in einem Schubkarren in die Hölle fährt oder Gestalten mit hämischen Fratzen.

Diese Figurengeneration wurde aufgrund von Erosion um 1790 unkenntlich, nach weiteren jJahrzeghnten entfernt; die Abbildungen zeigen im Anschluss den Turm 'nackt'. Jedoch wurde der Plan gefasst, neue Standbilder erstellen zu lassen, zuletzt durch den Direktors des Historischen Archivs der Stadt Köln Josef Hansen um 1890. Er konzipierte eine neue Anordnung für einen Wettbewerb. Die "zweite Generation" von Statuen - nur 81 Figuren - wurden mit großer Verzögerung aufgestellt. Da sie schneller verwitterten als die Alten - sie waren aus Sandstein gefertigt - mussten die Stadtväter sie schon bald ersetzen, diesmal bestellten sie die Fertigung in haltbarerem Muschelkalk.[3] Letztere schließlich wurden grösstenteils ein Opfer des zweiten Weltktriegs. Vom Ratsturm blieb nur ein "hohler Zahn" stehen.

Schon während des Wiederaufbaus in den Fünfziger Jahren plante die Stadtkonservatorin Dr. Hanna Adenauer, dass der Neuaufbau "in alter Form" erfolgen sollte. Der Turm wurde mit 103 Konsolen für Standbilder ausgestattet, darunter trägt eines das Bild der damaligen Stadtkonservatorin selbst.

Beginn der Ratsturmdebatte

1975 beschloß der Rat - inziwschen Stadtväter und -mütter - ein neues Skulpturenprogramm. Frau Dr. Hiltrud Kier als Stadtkonservatorin brachte die Idee, den im 2. Weltkrieg zerstörten Turm des Kölner Rathauses, genannt Ratsturm, wieder mit dem historischen Figurenschmuck zu bestücken bzw. fehlende Figuren zu ersetzen, voran.

Da es weiterhin keine Liste der früheren Skulpturenauswahl gab wurde eine Historiker:innenkommission installiert, die 124 Namen vorlegen sollte. Darunter waren auch zwei Expertinnen: Dr. Hiltrud Kier selbst und Dr. Klara van Eyll als Leiterin des Wirtschaftsarchivs. Dennoch umfasste die um 1985 vorgelegte Liste nur 5 Frauennamen, nur 5 entsprachen demnach dem Kriterium, etwas zu Kölns Größe beigetragen zu haben.

Der Höhepunkt der Ratsturmfigurendebatte

Eine Abgeordnete der noch jungen Ratspartei Die Grünen, Gundi Haep, kontaktierte die Historikerin Irene Franken mit der Bitte um weitere Namen, die diese auch sofort lieferte, wobei sie erst vor wenigen Monaten begonnen hatte, sich mit der Kölner Frauengeschichte zu beschäftigen. A

Frau Haep trug bald darauf - in der folgenden Ratssitzung - die kurzen Biografien dieser ca. 15 Namen vor. Die überwiegende Reaktion war Gelächter. Dennoch wurde die Archivarin des Historischen Archivs der Stadt Köln, Frau Dr. Gertrud Wegener, beauftragt, Dossiers zu diesen Namen zu erstellen.

Die Historiker:innenkommission wurde um die Historikerinnen Irene Franken und Petra NN (Die Grünen)erweitert und tagte nun in neuer Zusammensetzung. Besonders der Leiter des Stadtarchivs Dr. Stehkämper konnte der Änderung der Liste durch Erhöhung der Zahl von Frauen nichts abgewinnen, er verließ die Kommission unter Protest. Besonders die Frage, welche Männernamen (Skulpturen) weichen sollten, brachte intern heftige Debatten mit sich. Schließlich wurde eine um 13 Frauen erweiterte - und um 13 Männer veringerte - Liste vorgelegt.

In der Presse wurde die Frage aufgeworfen, ob damit die Geschichte quotiert würde. Die Historikerin Franken argumentierte, dass die Liste bereits quotiert gewesen sei, da die Aufnahmekategorien Frauen ausgeschlossen hättten. Wenn nur Repräsentanten aus Bereich gelten würden, zu denen Frauen der Zutritt versperrt worden war wie Politik, Militär, Theologie, Universität usf. sei ein Ausschluss von Frauen implizit. Dagegen sollten Bereiche zugelassen werden, bei denen Frauen als Akteurinnen hätten wirken können, seien es auf dem Feld der zünftischen und nichtzünftischen Berufe, der geistlichen Gründungen von Frauen z.B. aus dem Beginenkontext, der (als Zauberin) verfolgten Frauen, der Privatgelehrten, der Schulgründerinnnen oder Revolutionärinnen.

Die Ratsturmdebatte von Mitte/Ende der 1980er Jahre erregte in der Bevölkerung, besonders unter den Stadtbürgerinnen, großes Aufsehen, in ihr kulminierten Vorstellungen einer anderen Geschichtsschreibung. Noch Jahrzehnte später erinnern sich Frauen auf den Stadtrundgängen zum Thema der damaligen Aufrregungen.

Frauen auf dem Turm

Die erneuerte Liste wurde schließlich angenommen und die Skulpturen aus Weiberner Tuff, einem Vulkanstein aus der Eifel, von einer großen Zahl von Bildhauer:innen angefertigt[4]. Alle Skulpturen wurden von privater Hand gespendet, seien es von Firmen, Verbänden, Einzelpersonen o.ä. Der Kölner Frauengeschichtsverein sammelte für 'seine' Figur, eine in Köln geborene Privatgelehrte, auf den Rundgängen. Frau Dr. Kier stiftete die als Hexe verfolgte Katharina Henot, da auch sie bisweilen als Hexe tituliert worden war, der Katholische Frauenbund die Katholische Antifaschistin Amalie Lauer usf.

1995 waren die Standbilder der "dritten Generation" aufgestellt und mit einem Fest gefeiert, doch schon bald wurde klar, dass die - scheinbar konservierenden - Maßnahmen einer Acryltränkung durch das Amt der Stadtkonservatorin der Witterung gerade nicht standhielten. Es musste für fast alle eine zweite Fassung gehauen werden. Daher stehen viele Ratsturmfiguren bei den Stifterinnen, wie dem DGB, dem Katholischen Frauenbund, den Parteien etc. Die heutigen Steinfiguren bestehen aus französischem Kalkstein (Savonnières), feierlich eingeweiht wurden sie am 29. November 2008. Die 18 Frauen[5] bilden eine gute Möglichkeit, sich mit verschiedenen Entwürfen von Frauenleben zu beschäftigen.

Liste der 28 'weiblichen' Ratsturmfiguren

1. Agrippina (15/16 – 59 n.u.Z) 2. Ursula (Legende, angeblich 4. Jahrhundert) 3. Plektrudis (+ nach 717) 4. Theophanu (ca. 955 – 991) 5. Ida (11. Jahrhundert) 6. Sela Jude (ca. 1180 – nach 1230) 7. Fygen Lützenkirchen ( + nach 1515) 8. Katharina Henoth (+ 1627) 9. Anna Maria van Schürmann (1607 - 1678) 10. Mater Augustina de Heers (um 1610 – 1666) 11. „Klosterfrau Melissengeist“ Maria Clementine Martin (1775 – 1843) 12. Mathilde Franziska Anneke (1817 – 1884) 13. Mathilde von Mevissen (1848 – 1924) 14. Amalie Lauer (1882-1950) 15. Christine Teusch (1888 –1968) 16. Edith Stein (1891 –1942) 17. Hertha Kraus (1897 – 1968) 18. Irmgard Keun (1905 – 1982)


Literatur

  • Kurylo, Friedrich Karl: Rathaus. Bürgerstolz aus Stein, KStA 1968.03.9./10
  • Leverkus, Iris: Frauenfiguren für den Kölner Rathausturm. Rathausfest am 4. Dez. 1987; zsgest. für d. Frauen d. Rates d. Stadt Köln, Köln 1987
  • Franken, Irene: Frauen in Köln. Der historische Stadtführer, Köln 2008
  • Kier, Hiltrud Hrsg.): Köln. Der Ratsturm. Seine Geschichte und sein Figurenprogramm, Köln 1996
  • Mathieu, Christoph: Wiederbegegnung mit Fygen Lützenkirchen. Künstler holen beschädigte Figuren vom Ratsturm ab, um sie in besserem Stein zu kopieren, Köln. Rundschau 2007.12.22
  • Pesch, Mathias: Die Figuren kehren zurück. Der Ratsturm wird eingerüstet. Im Herbst sollen alle Skulpturen stehen. KStA 2008.06.26


weblinks


Einzelnachweise

  1. Kurylo, Friedrich Karl: Rathaus. Bürgerstolz aus Stein, KStA 1968.03.9./10.
  2. Zum Folgenden: Irene Franken, Frauen in Köln. Der historische Stadtführer, Köln 2008.
  3. https://www.stadt-koeln.de/artikel/05400/index.html
  4. Die SPD-Abgeordnete Iris Leverkus verfasste eine Broschüre: Frauenfiguren für den Kölner Rathausturm. Rathausfest am 4. Dez. 1987; zsgest. für d. Frauen d. Rates d. Stadt Köln, Köln 1987
  5. Ratsturmfiguren

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