Politlesbengruppe: Unterschied zwischen den Versionen

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Inge betonte bei dem Radiointerview, es sei wichtig sich abzugrenzen: Es handele sich nicht um eine Freizeitgruppe, z.B. eine lesbische Fußballmannschaft oder eine lesbische Selbsterfahrungsgruppe, sondern  
 
Inge betonte bei dem Radiointerview, es sei wichtig sich abzugrenzen: Es handele sich nicht um eine Freizeitgruppe, z.B. eine lesbische Fußballmannschaft oder eine lesbische Selbsterfahrungsgruppe, sondern  
 
<blockquote>"es ist der Bezug zur politischen Realität da, zum Alltag.“ <ref>Radiomanuskript, S. 3.</ref></blockquote>   
 
<blockquote>"es ist der Bezug zur politischen Realität da, zum Alltag.“ <ref>Radiomanuskript, S. 3.</ref></blockquote>   
Zu dieser Abgrenzung diente der Bezug auf die Politik im Namen.  
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Zu dieser Abgrenzung diente der Bezug auf die Politik im Namen. Die Aktivistinnen hatten den Anspruch, die politischen Diskurse und Ereignisse um sie herum aufmerksam zu beobachten und ggf. zu intervenieren:  
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<blockquote>„Wir beschäftigen uns in der Gruppe auch intensiv mit tagespolitischem Geschehen, um unsere besondere Betroffenheit als Lesben erkennen zu können. D.h. wir müssen eine politische Sensibilität entwickeln, damit wir unsere Bedrohung erkennen und öffentlich machen können.“<ref>Selbstdarstellung, Bl. r</ref> […] Überhaupt ist die theoretische Arbeit, d.h. die fundierte sachliche Information und Diskussion von allen relevanten Themen ungeheuer wichtig für uns und nimmt einen großen Stellenwert in der Gruppenarbeit ein, zumal wir uns gegen blinden Aktionismus stellen wollen.“<ref> Selbstdarstellung, Bl. v.</ref></blockquote>
Die Aktivistinnen hatten den Anspruch, die politischen Diskurse und Ereignisse um sie herum aufmerksam zu beobachten und ggf. zu intervenieren:  
 
<blockquote>„Wir beschäftigen uns in der Gruppe auch intensiv mit tagespolitischem Geschehen, um unsere besondere Betroffenheit als Lesben erkennen zu können. D.h. wir müssen eine politische Sensibilität entwickeln, damit wir unsere Bedrohung erkennen und öffentlich machen können.“<ref>Selbstdarstellung, Bl. r</ref> […] Überhaupt ist die theoretische Arbeit, d.h. die fundierte sachliche Information und Diskussion von allen relevanten Themen ungeheuer wichtig für uns und nimmt einen großen Stellenwert in der Gruppenarbeit ein, zumal wir uns gegen blinden Aktionismus stellen wollen.“<ref> Selbstdarstellung, Bl. v.</ref></blockquote>
 
  
 
==Vorläufergruppen==  
 
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Version vom 12. Dezember 2019, 20:17 Uhr

Die Politlesbengrupep (* 1973 in Köln; † 1975 in Köln) war eine Lesbengruppe im Kontext der neuen Frauenbewegung mit einem Schwerpunkt auf der Sichtbarmachung von lesbischem Leben in der Bundesrepublik

Gründung und Quellenlage

Im Herbst 1983 schlossen sich jüngere und mittelalte Kölner Lesben zusammen und gründeten die Politlesbengruppe. [1] Sie trafen sich jeden Donnerstag um 20 Uhr im Kölner Frauenzentrum Eifelstraße 33, um eine Veränderung der Lebensbedingungen von lesbischen Frauen und der Gesellschaft insgesamt umzusetzen und öffentlichkeitswirksam Tabus über weibliche Homosexualität in Erziehung und Sozialisation zu kritisieren.[2] Neben einem Flugblatt und einem oder zwei Zeitschriftenartikeln ist nur ein längeres Radio Manuskript enthalten, in dem die frauenliebenden Frauen sich selbst beschreiben.

Zusammensetzung und Selbstdefinition

Die Politlesbengruppe bestand „überwiegend aus Berufstätigen“, konkret aus Lehrerinnen, Frauen aus Betrieben und Studentinnen unterschiedlichen Alters zwischen 20 und 45.[3] Die Motive zur Assoziierung waren einerseits die Ermächtigung isoliert lebender Lesben, andererseits der Wunsch nach Aufklärung: In der Bundesrepublik der frühen 1980er Jahre gab es zeitgeschichtliche Entwicklungen, die als bedrohlich gegenüber Lesben wahrgenommen werden konnten und die sie bekämpfen wollten.

Was verstanden sie unter der Selbstbezeichnung?

„Eine Politlesbe ist eine Frau, die im Leben auch auf die Öffentlichkeit guckt. Die aufpasst, was passiert, wie sie behandelt wird, wie sie das Leben zu nehmen hat.“, beschrieb sich Anke.[4]. [...] „Wir sind gezwungenermaßen politisch, weil es eben nicht möglich ist, lesbisch zu sein, ohne sich Beschränkungen aufzuerlegen.“[5]

In einem Flugblatt positionierten sie sich als links-feministisch:

„Wir sind eine Gruppe von z.Zt. zehn lesbischen Frauen, die sich als autonome politische Lesbengruppe verstehen. Autonom heißt in dem Zusammenhang unabhängig von Parteien und Organisationen u.ä. Dabei sehen wir uns ideologisch eng verbunden mit der autonomen Frauenbewegung, weil wir unser Lesbischsein auch aus einem feministischen Hintergrund verstehen, d.h. nicht als reine Bauchangelegenheit in Hinblick auf HOMOSEXUALITÄT, sondern auch als eine Entscheidung für eine andere Lebensform.“[6]


Inge betonte bei dem Radiointerview, es sei wichtig sich abzugrenzen: Es handele sich nicht um eine Freizeitgruppe, z.B. eine lesbische Fußballmannschaft oder eine lesbische Selbsterfahrungsgruppe, sondern

"es ist der Bezug zur politischen Realität da, zum Alltag.“ [7]

Zu dieser Abgrenzung diente der Bezug auf die Politik im Namen. Die Aktivistinnen hatten den Anspruch, die politischen Diskurse und Ereignisse um sie herum aufmerksam zu beobachten und ggf. zu intervenieren:

„Wir beschäftigen uns in der Gruppe auch intensiv mit tagespolitischem Geschehen, um unsere besondere Betroffenheit als Lesben erkennen zu können. D.h. wir müssen eine politische Sensibilität entwickeln, damit wir unsere Bedrohung erkennen und öffentlich machen können.“[8] […] Überhaupt ist die theoretische Arbeit, d.h. die fundierte sachliche Information und Diskussion von allen relevanten Themen ungeheuer wichtig für uns und nimmt einen großen Stellenwert in der Gruppenarbeit ein, zumal wir uns gegen blinden Aktionismus stellen wollen.“[9]

Vorläufergruppen

Auch wenn sie sich als Lesbengruppe innerhalb der Frauenbefreiungsaktion (FBA) formierten, die 1973 entstanden war, war sie nicht die erste Selbstorganisation von homosexuellen Frauen in Köln. 1971/72 hatte es kurzlebige Anfänge einer ersten bundesdeutschen Lesbengruppe gegeben, die Gertraut Müller in Privatinitiative gegründet hatte. Allmählich wurde daraus 1972 die politisch und feministisch motivierte Homosexuelle Frauenaktion Köln (HFA) geworden. Diese war jedoch zeitnah wieder eingegangen. Andere Lesben, die keinen Schwerpunkt auf feministische Forderungen legten, sondern den homosexuellen Emanzipationskampf vorantreiben wollten, schlossen sich Schwulengruppen an. Zur gleichen Zeit wie die radikale Frauenbewegung – also 1971/72 - entstanden in Köln emanzipatorische Schwulengruppen" wie die gay liberation front" (glf) oder die HAK, die Homosexuelle Aktion Köln, die sich im Anschluss an die „erweckende“ Vorführung des berühmten Praunheim-Films Nicht der Homosexuelle ist pervers … gebildet hatte. Einige Lesben integrierten sich nach und nach in die zunächst rein männliche aufgestellte glf und gründeten im Herbst 1981 innerhalb der Organisation die erste Frauengruppe, die dort letztlich auch feministische Lesbenpolitik betreiben wollte. In den späten 1970er Jahren gründeten sich die Gruppe Les Movies bzw. Les Uries. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre waren feministische Lesbenaktivitäten aus mehreren Gründen wieder im Rückgang. Einerseits erodierte die Lesbenszene innerhalb der Kölner Frauenbewegung von innen heraus, wenn auch durch eine von außen herangetragene Kontroverse: Über den sog. Transsexuellen-Konflikt von 1978/79, die Auseinandersetzung, ob zwei Transfrauen das Frauen(Lesben)Zentrum nutzen sollen dürften, waren 18 sehr aktive – gegnerische - Frauen*/Lesben aus dem gemeinsam gegründeten Frauenzentrum ausgeschieden, darunter die sehr aktive Kämpferin Gertraut Müller.

Die Pläne der „Exlusionslesben“, ein eigenes Lesbenzentrum zu gründen, kamen nicht zustande.[10]. Auch mehrere der in der FBA verbliebenen Lesben standen durchaus ambivalent zur Frage der Mitwirkung sog. Transfrauen, hatten sich aber nicht exkludierend positionieren wollen, sie schlossen sich nicht mehr als Lesbengruppe zusammen.

Gesamtpolitisch gab es nach 13 Jahren Mit-Regierung der SPD 1982 eine Wende (die Bonner Wende) zurück, der mentalitätsmäßig in Teilen zum reaktionären Staat der 1950er Jahre zurückschritt.[11] Diese Entwicklung wurde von der Kölner Gruppe als sehr negativ empfunden: sie formulierte, daß eine

„politische Wende mehr und mehr durchschlägt, und ein Minister Geißler die Frauen zurück an den Herd und zu den Kindern will. (Und die lesbischen Mütter?)“[12]

Einige Lesbenaktivistinnen zogen sich mutlos ins Privatleben zurück.

Neustart

Im Spätherbst 1983 kgab es verstärkte Bedrohungen gegen Feministinnen (und Lesben) durch Neonazis, so auch in Köln.[13]

Aus Perspektive der Politlesbengruppe hieß es:

„Neben den offiziellen Regierungs/CDU-Tönen kommen aus der rechtsextremen Ecke noch schlimmere Töne. Die Bedrohung durch Neonazis gegen Frauen und Lesben kann bisher ungehindert mit Flugblättern (Mord- und Bombendrohungen) erfolgen, da regt sich außer in der Frauenbewegung kein Widerstand. Die Parallele zum Dritten Reich drängt sich auf, auch damals wurde die Entwicklung des Nationalsozialismus verharmlost. Lesben wurden in KZ’s ermordet, heute fordern Neonazis das Gleiche!“[14]

Diese gefährliche Entwicklungt wollte die Politlesbengruppe offen machen. Bei den Aktionen des Kollektivs stand die Sichtbarmachung der lesbischen Lebensweise und die Zerstörung von stereotypen Vorurteilen zentral.

„Unter dieser Öffentlichkeit verstehen wir nicht nur den Versuch, uns mit Bitten um Toleranz oder Duldung and (sic) die Mitmenschen zu wenden, sondern zunächst einmal unsere Existenz deutlich zu machen, d.h. dem Verschweigen und der Tabuisierung (allein des Themas schon) unsere Präsenz entgegenzustellen. (…) noch immer gilt die lesbische Liebe nicht als gleichberechtigt, sondern ist mit Vorurteilen behafte. („Pervers, krankhaft, widernatürlich, Kinder/Familienfeindlich (sic), aggressiv, provozierend, lustfeindlich oder lüstern usw.).“[15]
Fazu kamen persönliche Erfahrungen. Sie alle hatten negative Erfahrungen gemacht, wenn sie über ihre Lebensweise sprachen und z.B. die Frage aufbrachten: „‘und wenn Ihre Tochter (die Lehrerin Ihrer Tochter, die Freundin Ihrer Frau) SO wäre?‘“ [16] Sie wurden z.B. nicht als erwachsene Frauen mit eigenem Begehren ernst genommen:
„Auch tolerante männliche Gesprächspartner werden von plötzlichem missionarischem (sic) Eifer überfallen, Gesprächspartnerinnen stellen fest, solche ‚Phasen‘ auch schon gehabt zu haben.“[17]

Literatur von

Literatur über

weblinks

Einzelnachweise

  1. Zur Datierung: „Seit dem letzten Herbst treffen wir uns … ," vgl. Selbstdarstellung 1984 (?), KÖFGE Bestand 78, Bl. r).
  2. Selbstdarstellung, Bl. r ; Radiomanuskript, S. 4
  3. Selbstdarstellung, Bl. r.
  4. Anke, Radiomanuskript, S. 2.
  5. Radiomanuskript, S. 9.
  6. Selbstdarstellung, Bl. r
  7. Radiomanuskript, S. 3.
  8. Selbstdarstellung, Bl. r
  9. Selbstdarstellung, Bl. v.
  10. Vgl. dazu die Bachelorarbeit von Alex Mounji.
  11. Es war eine ökonomische Wende, die als „geistig-moralische Wende" verkauft wurde, vgl. Ingo Neumayer: Die Wende von 1982. Helmut Kohl, online https://www.planet-wissen.de/geschichte/persoenlichkeiten/helmut_kohl/pwiediewendevon100.html, Stand: 03.08.2017, abgerufen 13.10.2019.
  12. Selbstdarstellung, Bl v.
  13. Vgl. Neonazis bedrohen Frauenbuchläden, in: Lila Lotta, Nr. 12/1983, S. 22; vgl. Neonazis: Feministinnen bedroht, in: EMMA, Nr. 12/1983, S. 4.
  14. Selbstdarstellung, Bl v.
  15. Selbstdarstellung, Bl r.
  16. Selbstdarstellung Bl. r. - Eine ähnlich lautende Kampagne starteten übrigens die Frauen der glf wnig später mit einem Flugblatt "Und wenn Ihre Tochter so wäre?"
  17. Selbstdarstellung, Bl r.

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