Politlesbengruppe

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Die Politlesbengruppe (* 1983 in Köln; † 1985 in Köln) war eine Lesbengruppe im Kontext der neuen Frauenbewegung mit einem Schwerpunkt auf der Sichtbarmachung von lesbischem Leben in der Bundesrepublik

Gründung und Quellenlage

Im Herbst 1983 schlossen sich jüngere und mittelalte Kölner Lesben zusammen und gründeten die Politlesbengruppe.[1] Sie trafen sich jeden Donnerstag um 20 Uhr im Kölner Frauenzentrum Eifelstraße 33, um eine Veränderung der Lebensbedingungen von lesbischen Frauen und der Gesellschaft insgesamt umzusetzen und öffentlichkeitswirksam Tabus über weibliche Homosexualität in Erziehung und Sozialisation zu kritisieren.[2] Neben einem Flugblatt und wenigen Zeitschriftenartikeln ist nur ein längeres Manuskript enthalten, in dem vier frauenliebende Frauen sich und ihre Gruppe live in einer Radiosendung präsentierten.[3]

Zusammensetzung und Selbstdefinition

Die Politlesbengruppe bestand „überwiegend aus Berufstätigen“, konkret aus Lehrerinnen, Frauen aus Betrieben und Studentinnen unterschiedlichen Alters zwischen 20 und 45.[4] Die Motive zur Assoziierung waren einerseits die Ermächtigung isoliert lebender Lesben, andererseits der Wunsch nach Aufklärung: In der Bundesrepublik der frühen 1980er Jahre gab es zeitgeschichtliche Entwicklungen, die als bedrohlich gegenüber Lesben wahrgenommen werden konnten und die sie bekämpfen wollten.

Was verstanden sie unter der Selbstbezeichnung?

„Eine Politlesbe ist eine Frau, die im Leben auch auf die Öffentlichkeit guckt. Die aufpasst, was passiert, wie sie behandelt wird, wie sie das Leben zu nehmen hat.“, beschrieb sich Anke.[5]. [...] „Wir sind gezwungenermaßen politisch, weil es eben nicht möglich ist, lesbisch zu sein, ohne sich Beschränkungen aufzuerlegen.“[6]

In einem Flugblatt positionierten sie sich als links-feministisch:

„Wir sind eine Gruppe von z.Zt. zehn lesbischen Frauen, die sich als autonome politische Lesbengruppe verstehen. Autonom heißt in dem Zusammenhang unabhängig von Parteien und Organisationen u.ä. Dabei sehen wir uns ideologisch eng verbunden mit der autonomen Frauenbewegung, weil wir unser Lesbischsein auch aus einem feministischen Hintergrund verstehen, d.h. nicht als reine Bauchangelegenheit in Hinblick auf HOMOSEXUALITÄT, sondern auch als eine Entscheidung für eine andere Lebensform.“[7]

Inge betonte bei dem Radiointerview, es handele sich nicht um eine Freizeitgruppe, z.B. eine lesbische Fußballmannschaft oder eine lesbische Selbsterfahrungsgruppe, sondern

"[...] es ist der Bezug zur politischen Realität da, zum Alltag.“[8]

Zu dieser Abgrenzung diente der Bezug auf die Politik im Namen. Die Aktivistinnen hatten den Anspruch, die politischen Diskurse und Ereignisse um sie herum aufmerksam zu beobachten und ggf. zu intervenieren:

„Wir beschäftigen uns in der Gruppe auch intensiv mit tagespolitischem Geschehen, um unsere besondere Betroffenheit als Lesben erkennen zu können. D.h. wir müssen eine politische Sensibilität entwickeln, damit wir unsere Bedrohung erkennen und öffentlich machen können.“[9] […] Überhaupt ist die theoretische Arbeit, d.h. die fundierte sachliche Information und Diskussion von allen relevanten Themen ungeheuer wichtig für uns und nimmt einen großen Stellenwert in der Gruppenarbeit ein, zumal wir uns gegen blinden Aktionismus stellen wollen.“[10]

Vorläufergruppen

Auch wenn sie sich als Lesbengruppe innerhalb der Frauenbefreiungsaktion (FBA) formierten, die 1973 entstanden war, war sie nicht die erste Selbstorganisation von homosexuellen Frauen in Köln. 1971/72 hatte es kurzlebige Anfänge einer ersten bundesdeutschen Lesbengruppe gegeben, die Gertraut Müller in Privatinitiative gegründet hatte. Allmählich wurde daraus 1972 die politisch und feministisch motivierte Homosexuelle Frauenaktion Köln (HFA) geworden. Diese war jedoch zeitnah wieder eingegangen. Andere Lesben, die keinen Schwerpunkt auf feministische Forderungen legten, sondern den homosexuellen Emanzipationskampf vorantreiben wollten, schlossen sich Schwulengruppen an. Zur gleichen Zeit wie die radikale Frauenbewegung – also 1971/72 - entstanden in Köln emanzipatorische `'männliche' Schwulengruppen (z.T. verwendeten auch Lesben das Wort schwul für sich) wie die gay liberation front" (glf) oder die HAK, die Homosexuelle Aktion Köln, die sich im Anschluss an die 'erweckende' Vorführung des berühmten Praunheim-Films Nicht der Homosexuelle ist pervers … gebildet hatte. Einige Lesben integrierten sich nach und nach in die zunächst rein männliche aufgestellte glf und gründeten im Herbst 1981 innerhalb der Organisation die ''glf-Frauengruppe'', die dort Lesbenpolitik betreiben wollte, wobei nicht alle sich als Feministinnen definierten.

In den späten 1970er Jahren gründeten sich die Gruppe Les Movies bzw. Les Uries.

Ende der 1970er Jahre waren feministische Lesbenaktivitäten aus mehreren Gründen wieder im Rückgang. Der wichtigste Auslöser war die Erosion der Kölner 'Lesbenszene' von innen heraus, wenn auch durch eine von außen herangetragene Kontroverse. Über den sog. Transsexuellen-Konflikt von 1978/79, die Auseinandersetzung, ob zwei Transfrauen das Frauen(Lesben)Zentrum nutzen sollen dürften, waren 18 sehr aktive – gegnerische - Frauen*/Lesben aus dem gemeinsam gegründeten Frauenzentrum ausgeschieden, darunter die sehr aktive Gertraut Müller. Die Pläne dieser „Exlusionslesben“, ein eigenes Lesbenzentrum zu gründen, kamen nicht zustande.[11]. Einige Lesbenaktivistinnen zogen sich mutlos ins Privatleben zurück, andere gründeten neue Gruppen innerhalb der FBA, die aber keine große Durchschlagskraft gewannen.

Neustart

Waren die 1970er von der RAF-Hysterie mit Rasterfahndung und Durchsuchung auch einzelner Frauenzentren geprägt, was eine starke Politisierung vieler Feministinnen bewirkte hatte, so änderte sich zu Beginn der 1980er Jahre das politische Klima.[12]

Erstens gab es gesamtpolitisch nach 13 Jahren Mit-Regierung der SPD 1982 eine Wende (die sog. Bonner Wende), bei der große Bereiche der Gesellschaft mentalitätsmäßig zum konservativen Staat der 1950er Jahre zurückkehrten.[13] Diese Entwicklung wurde von der Kölner Politlesbengruppe als sehr negativ empfunden: sie formulierte, daß eine

„politische Wende mehr und mehr durchschlägt, und ein Minister Geißler die Frauen zurück an den Herd und zu den Kindern will. (Und die lesbischen Mütter?)“[14]

Zweitens kam es im Spätherbst 1993 verstärkt zu Bedrohungen von Feministinnen (und Lesben) und Frauenprojekten durch Neonazis, so auch in Köln.[15]

Die Politlesbengruppe kritisierte diese Entwicklungen:

„Neben den offiziellen Regierungs/CDU-Tönen kommen aus der rechtsextremen Ecke noch schlimmere Töne. Die Bedrohung durch Neonazis gegen Frauen und Lesben kann bisher ungehindert mit Flugblättern (Mord- und Bombendrohungen) erfolgen, da regt sich außer in der Frauenbewegung kein Widerstand. Die Parallele zum Dritten Reich drängt sich auf, auch damals wurde die Entwicklung des Nationalsozialismus verharmlost. Lesben wurden in KZ’s ermordet, heute fordern Neonazis das Gleiche!“[16]
Zu Weihnachten 1983 machte die Politlesbengruppe eine Plakataktion - leider sind keine Dokumente darüber überliefert.

Dazu kamen drittens persönliche Erfahrungen. Alle Mitglieder der Gruppe hatten negative Erfahrungen damit gemacht, über ihre Lebensweise zu sprechen, z.B. wenn die Frage aufkam: „‘und wenn Ihre Tochter (die Lehrerin Ihrer Tochter, die Freundin Ihrer Frau) SO wäre?‘“[17]

Ihr Wunsch war, sich frei gegenüber anderen zeigen zu können:
„[...] meine Forderung an die Öffentlichkeit ist eben, daß man so offen mit dem Thema umgehen kann, daß keiner dabei plötzlich Angst bekommt, nein, mit der Frau spreche ich nicht mehr. Oder sich zurück zieht, um Gotteswillen, schon wieder eine, sondern daß man richtig normal miteinander umgehen kann, mit jedem Menschen auf der Straße. Und nicht direkt immer denkt, na, dem sag‘ ich’s besser nicht.“[18]
Sie wurden z.B. nicht als erwachsene Frauen mit eigenem Begehren ernst genommen:
„Auch tolerante männliche Gesprächspartner werden von plötzlichem missionarischem (sic) Eifer überfallen, Gesprächspartnerinnen stellen fest, solche ‚Phasen‘ auch schon gehabt zu haben.“[19]

Bei den Aktionen des Kollektivs standen daher die Sichtbarmachung der lesbischen Lebensweise und die Zerstörung von stereotypen Vorurteilen zentral. Häufig wüssten viele Arbeitskolleginnen voneinander nichts von der gleichen sexuellen Orientierung, würden sich höchstens in 'Lesbenkneipen' zufällig begegnen.[20]</blockquote>

Sie stellten besodners die Situation der „Provinzlesben“ als fragil und isoliert heraus:
„Lesben wollen in der Regel kein Leben gegen, sondern ohne Männer leben. Eine lesbische Privatsphäre ist demnach bitter notwendig, was besonders deutlich wird am Beispiel der Frauen, die in der Provinz leben un (sic) womöglich allein damit klarkommen müssen, daß sie lesbisch sind. D.h. sie müssen allein fertigwerden mit der Stigmatisierung und der oft aussichtslosen Perspektive, eine Freundin zu finden – ja oft haben sie nicht einmal die Chance über ihr Lesbischsein sprechen zu können oder überhaupt Verständnis zu finden. In Großstädten ist das etwas leichter, weil es eine bestimmte lesbische Szene gibt (z.B. Lesbengruppen, Kneipen, Beratungszentren u.a.). Aber nicht jede Frau in der Provinz kann auf einem Abend in der nächsten Großstadt ihr Leben als Lesbe aufbauen.“[21]


Aktivitäten

Zur Verringerung der festgestellten Isolation schlugen sie mehrere Strategien vor. U.a. empfahlen sie die Zusammenarbeit mit einer bundesweiten Lesben-Organisation:

„Wir, d.h. die Gruppe aus Köln, können von unserer Position aus diesen Frauen, die kein lesbisches Umfeld haben, so zunächst kaum Unterstützung bieten. Wir arbeiten aber zusammen mit dem Deutschen Lesbenring, der seinen Sitz in Köln hat und als bundesweite Organisation ein Kontaktnetz in Deutschland aufbauen möchte. Und heute mehr denn je informieren,[…]."[22]

Es ging ihnen zudem darum, gegen die Tabuisierung „Informationsarbeit leisten, daß es das [die lesbische Lebensweise, die Verf.] sehr wohl und auch als gleichberechtigte Lebensform gibt.“[23] Die vielleicht wichtigste Kampagne war die Beteilung an einer Mitmachsendung.


Hörerinnen machen Programm

Am 25. August 1984 gestalteten vier der acht Mitglieder der „Politlesbengruppe Köln“ einen zweistündigen Abend bei WDR 2 innerhalb der Live-Sendereihe “Hörer machen Programm” (18-20 Uhr). Sie nutzten die Radiosendung, um Wissen über Lesben auch in die Provinz zu tragen. Auf dem gedruckten Manuskript sind nur Vornamen angegeben (Ulla, Anne, Anke und Inge), - sicher eine besondere Situation auch für die WDR-Redaktion.

Die Musik stammte überwiegend von damals angesagten Sängerinnen und Komponistinnen wie Joan Armatrading, Nina Hagen, Tina Turner, Miriam Makeba, Gianna Nannini, Gloria Gaynor, Gloria Jones, Grace Jones, Patty Smith, Shirley Bassey und Erika Pluhar. Sicher wurde das erste Mal das Lied der Flying Lesbians: "Wir sind die homosexuellen Frauen" im WDR gespielt. Sodann gab es sechs Stücke von männlichen Musikern.

Für die Moderation hatte der WDR einen offensichtlich mit der Thematik unkundigen Mann gewählt, Rüdiger B., dem erst nach einer Stunde, nach der Nachrichtenpause, auffiel, dass die Sendung eigentlich "Hörerinnen machen Programm" hätte heißen müssen.[24] Er rezipierte die lesbische Lebensweise als gegen sich selbst gerichtet („Leben ohne Mann“) und 'bettelte' im zweiten Teil der Sendung anhaltend androzentrisch um Liebe zu Männern.[25]

Er fragte „Wie wird man eigentlich Lesbe“?[26] Anne antwortete:

„Das kann man sicher nicht verallgemeinern. […] ich weiß nur, wie es bei mir gewesen ist, und da kann ich nicht sagen, daß ich’s geworden bin, sondern daß ich in dem Alter, in dem man sich auch normalerweise verliebt, also mit 12 oder 13, daß ich mich seit diesem Zeitpunkt in Frauen verliebe. Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen, und die Frage beinhaltet eigentlich auch immer das Interesse daran, wie kann man es verhindern, lesbisch zu werden. Also, diese Frage stell‘ ich mir z.B. nicht mehr. Ich […] frage mich nicht mehr, wie bin ich lesbisch geworden – ähm – weil es ‚ne vollkommen uninteressante – für mich vollkommen uninteressante Frage geworden ist.“[27]
Anke ergänzte:
„Also, ich war weder früher politisch, noch feministisch, und dann hab‘ ich mich in ‚ne Frau verliebt, und mit der Zeit wird man dann alles von alleine.“[28]

Der Moderator fragte, ob sie Feministinnen seien und wie sie zu anderen Frauenproblemen stehen. Inge antwortete:

„Also die geschichtliche Entwicklung der Lesbenbewegung war die, daß die Lesbenbewegung sich aus der Frauenbewegung heraus entwickelt hat. Und zwar insofern, daß viele Frauen, so am Anfang, also anfangs der 70 er Jahre, die sich in der Frauenbewegung engagiert haben, dann auch ihre Liebe zu Frauen entdeckt haben. Und – ähm – dadurch ist natürlich eine Verzahnung da, von Lesbenbewegung und Frauenbewegung, es ist auch – äh – wir als Politlesbengruppe verstehen uns auch mit 'nem feministischen Hintergrund. D. h., daß wir uns also durchaus auch mit feministischen Forderungen beschäftigen, uns damit auch solidarisieren und die ja auch haben. Als Politlesben ja besonders.“[29]

Sie berichteten von Diskriminierungen und von Gewalterfahrungen, wenn z.B. Inge erlebt hatte, das ihr von Jugendlichen Steine hinterher geworfen wurden, als sie mit ihrer Freundin Arm in Arm über die Straße ging und ihnen nachgerufen wurde: "Ihr lesbischen Schweine!"[30] In Lesbenzeitungen las sie "krasse Fälle von Entlassungen mit dem Argument, der Arbeitsfrieden würde gestört[...]."[31] Auch litt sie darunter, dass eine langjährige Freundin (Schulkameradin) sich abgewandt hatte, als sie sich ihr gegenüber geoutet hatte, - diese brach danach den Kontakt zu ihr ab. "Auch mit der Bemerkung, also ein Leben ohne Männer, das wär ja nicht normal.“[32] Inge sprach die (damalige) Unmöglichkeit der Adoption durch Lesben an, „dass sich aber niemand dran stören würde, wenn der Mann ein Säufer sei, der seine Frau schlägt, der darf das Kind – äh – sozusagen zusammen mit seiner Frau erziehen, und zwei Lesben sind wahrscheinlich gefährlicher für das Kind. Und da also, da hakt’s bei mir aus.“[33]

Der Moderator fragte nach dem Ablauf der Treffen im Frauenzentrum. Inge antwortete:
„Wenn z.B. ein tagespolitisch brisantes Thema ist, das uns erst mal ganz direkt als Lesben betrifft, dann ist es natürlich klar, dann ist der Abend eigentlich von vorneherein schon so konstruiert, daß einfach eine kommt und sagt: also habt Ihr schon das und das in der Zeitung gelesen, und können wir nicht darauf reagieren? Und wenn’s z.B. ein Thema ist, das nicht so auf den ersten Blick als Lesbenthema zu erkennen ist, dann ist es für uns eigentlich noch interessanter, weil es dann auch darum geht, rauszukriegen, inwieweit sind wir auch von tagespolitischen Dingen, (sic) betroffen als Lesben, die auf den ersten Blick die Bedingungen [-] äh – gar nicht so erkennbar sind. Dadurch wird uns klar, daß wir also besonders sensibel sein müssen für alle – äh – so Entwicklungen im tagespolitischen Geschehen, die uns auch als Lesben betreffen können.“[34]

Gefragt nach einem Beispiel antwortet Anke:

„Ja, zum Beispiel, wenn jetzt das Mutterschaftsgeld an alle Frauen gezahlt wird, und dann die Bedingung ist, daß man während der Zeit nicht berufstätig ist. Dies Hinausmanövrieren aus dem Beruf in das Frauendasein, Haushaltsdasein, - das ist – äh – betrifft uns persönlich nicht, aber als unsere Stellung [-] Frau – betrifft es uns wohl. (S. 5). …. Es ist insofern auch für uns wichtig, äh, als daß (sic) Bedingungen sind, die es ja erschweren, lesbisch zu werden. Also um so mehr die Bedingungen so sind, daß man auf eine Familie angewiesen ist, auf einen Mann, der einen ernährt, um so schwieriger ist es, nicht lesbisch zu sein, aber das als Lebensform zu verwirklichen.“(S. 6) Inge ergänzte: „… je mehr es heißt, die Frau hat so und so zu sein, desto unmöglicher wird es dann ja auch als Lesbe zu leben. Denn da lebt man ja auch anders als Frau. Indem man eben die traditionelle Frauentrolle als Mutter, Ehefrau, Freundin eines Mannes eben nicht mehr lebt.“[35]

Die Interviewte Anne berichtete von Vorurteilen, die ihr im Alltag begegneten. "Die Vorurteile, die Männer am häufigsten, d.h. die ich von Männern am häufigsten kenne – äh – sind einmal die, daß die feste Überzeugung, daß es nicht möglich ist, lesbisch zu werden, ohne schlechte Erfahrungen gemacht zu haben mit Männern.“[36] Anke ergänzte: „Also, ne häufige Reaktion ist äh, daß 'ne heterosexuelle Frau denkt, wenn man lesbisch ist, dann haßt man alle Männer, dann ist man sofort in Feindesposition, und will denen was. Daß also, wie jetzt z.B. gewesen ist, als ich über die Sendung gesprochen habe, eben Öffentlichkeitsarbeit zu machen, mir gesagt wurde, ja ähm, wie wollt ihr anerkannt werden, wenn ihr 50 % der Bevölkerung ablehnt? Gelächter […] Als wenn wir die ablehnen würden?! Wir leben halt nur anders. Und das ist eben ein sehr großes Vorurteil.“[37] Ohne Männer zu leben bedeute nicht, keine männlichen Freunde zu haben, oder nicht auch mit jemandem zusammen Fußball zu schauen.[38]

Besonders das Leben auf dem Land sei für Lesben schwer.

Inge: „Tja, Ja, aufm Land ist es ja oft so, daß äh, um noch mal auf dieses coming-out zu kommen, wenn ‚ne Frau sich in ‚ne Frau verliebt, was macht 'se dann damit? Mit wem spricht sie darüber! Okay, vielleicht hat 'se Glück und hatt’n toleranten Bekanntenkreis und kann das da ansprechen, aber ob 'se dann -äh – in dem Bekanntenkreis auch Verständnis findet oder überhaupt die Chance hat, jemals auch mit andren Lesben zu tun zu haben, um zu wissen, mit welchen Problemen die umgehen usw. Auf’m Land [...] ist es einfach erst mal tot, also was macht so 'ne Frau dann?“[39]
Gefragt, was sie an Öffentlichkeitsarbeit machten, bericheten sie, dass sie Artikel an Frauenzeitungen schickten und Leserinnenbriefe schrieben, aber dass sie die überregionale Presse nicht erreichten und letztlich „noch keine Resonanz bekommen.[40] Inge betonte die innere Hürde, Leserinbriefe namentlich zu unterschreiben.
„… wir unterscheiden uns in einem Punkt ganz wesentlich von anderen politischen Gruppen, weil die Öffentlichkeitsarbeit für uns kein so selbstverständlich … äh … keine so selbstverständlich einfache Sache ist. Und zwar aus dem Grund, weil, wenn eine Lesbe in die Öffentlichkeit geht, mit ihrem Namen als Lesbe auftrifft, dann setzt sie sich – äh - einer ungeheuren, einem ungeheuren Problem aus: nämlich sie muß dann auch sagen, in der Öffentlichkeit: Ich bin lesbisch, also ich, Inge, bin lesbisch, und damit riskiert sie ‘ne ganze Menge. Denn wir haben, d.h. einzelne von uns haben da auch negative Erfahrungen gemacht. Das geht sogar soweit, daß Frauen aus der Gruppe heute abend (sic) nicht hierher kommen können, weil sie es sich eben nicht leisten können, öffentlich als Lesben aufzutreten.“[41]

Gegen Ende der Sendung fragte der Moderator nach ihren Zielen: Anke erwähnte die aktuelle Notwendigkeit, sich mit dem Thema Neonazis zu beschäftigen, da die Bedrohung stärker werde [42]

„Für längere Sicht planen wir ein Telefon, ein (sic) Telefonservice anzubieten oder aufzubauen, wo Frauen anrufen können. Eben auch Frauen, die nicht in der Stadt wohnen, die uns vielleicht brauche[n], die vielleicht nur Informationen haben wollen. Und langfristig, ja das kann man nicht planen, da muß man nur arbeiten und hoffen, daß sich einiges ändert. [...] daß wir irgendwannmal es schaffen, anerkannt zu werden, nicht mit diesen Tausenden von Vorurteilen betrachtet zu werden, daß wir genauso ein normales Leben führen können wie jeder andere Mensch auf dieser ganzen Welt auch.“[43] (S. 26) Inge ergänzte: „Ja, und daß wir präsenter werden. Z.B. in den Medien, daß – das ist auch eine feministische Forderung – die Frauen mehr Zugang zu allen Produktionsmitteln finden, und dadurch z.B. auch in der Sozialisation es mehr – öfter das Wort Lesben in den Büchern gibt, im Film, - natürlich in einer positiveren Darstellung, in der negativen Darstellung sind wir ja präsent genug und also mit dem reinen Akzeptieren, [...] unsere Forderungen gehen natürlich noch weiter hinaus. Z.B. auch eine rechtliche Gleichstellung zu erreichen“.[44]


Lesben im Nationalsozialismus

Aus dem Jahr 1985 stammt das letzte Lebenszeichen der Gruppe, ein Artikel über eine selbstgestaltete Plakatwand in der wichtigsten U-Bahn-Station Kölns, Dom / Hauptbahnhof. Sie hatten das Thema Lesben im NS gewählt, was aus einem „sozialkritischen und historischen“ Interesse erfolgte.[45] Sie stellten ihre Aktion in den Kontext des 1985 begangenen Gedenkjahres 40 Jahre Kriegsende und wandten sich gegen die Distanzierung großer Teile der Gesellschaft vom NS; ihre eigene Schwerpunktsetzung dagegen war: "40-jährige Befreiung vom Faschismus. Sie mieteten eine leere Plakatwand und brachten dort handschriftlich Text auf.[46]

“1933-1945 wir wurden verfolgt und ermordet

1945-1985 wir werden weiterhin diskriminiert

Befreiung vom Faschismus?

WIR LESBEN

haben keinen Grund zur Freude”.[47]
In dem Artikel beschrieben sie die latent bedrohliche Atmosphäre auf dem Bahnsteig während der Anbringung der Botschaft und den anschließenden Stolz.
„Die Stimmung war sehr angespannt, ab ca. 22 Uhr kamen nur noch Männer auf den Bahnsteig (Frauensperrstunde?), die sich um uns herum sammelten. Die Anmache wurde nach und nach immer stärker und ist uns noch je nach Nervenstärke der einzelnen Frau unterschiedlich böse in Erinnerung.“

Sie waren sogar erleichtert, als eine Polizeistreife vorbeikam, was seit den Zeiten der RAF-Fahndungen etc. nicht unbedingt an der Tagesordnung war. In der Tat verschwanden daraufhin - vorübergehend - die Voyeure.

„Das Wort ‚Lesben‘ hoben wir uns bis ganz zum Schluß auf, um die Passanten erst einmal rätseln zu lassen und ihnen damit auch diesen speziellen Angriffspunkt zu nehmen. […] Als wir dann das Wort ‚Lesben‘ geschrieben hatten, war es totenstill auf dem Bahnsteig. [...] Alles in allem war die Aktion ein großer Erfolg.“

Über die ganzen 10 Tage Hängezeit blieb die Wand unbeschädigt. Sie bekamen jedoch Kritik den eigenen Reihen, so eine Plakatwand sei „bürgerlich/spießig“, ob sie keine Lebensfreude hätten, warum nicht mal was Positives gemacht werde usw.[48]

Das Ende

Ob die Gruppe sich danach auflöste ist nicht überliefert, mit der letztgenannten Quelle verschwindet die Politlesbengruppe aus dem kollektiven Lesbengedächtnis. Immerhin: Für viele Lesben begann Mitte der 1980er Jahre eine Zeit der Discos, des Sich-Stylens und Sich-Feierns.[49] Auch ein Erfolg der Ahninnen? Artikel über die Unsichtbarkeit von Lesben 2019 lassen zweifeln.[50]


Literatur von der Politlesbengruppe

  • "Plakatwand gemietet" - Eine Aktion der Kölner Politlesbengruppe, in: Lila Lotta, 1985, H. 9, S. 27-28.


Literatur über Lesbengruppen der 1980er


Archivalien

  • Kölner Frauengeschichtsverein Bestand 78 Politlesbengruppe

weblinks

Einzelnachweise

  1. Zur Datierung: „Seit dem letzten Herbst treffen wir uns … ," vgl. Selbstdarstellung 1984 (?), KÖFGE Bestand 78/Politlesbengruppe, Bl. r). Der Plan war älter, vgl. einen Artikel mit dem Hinweis auf geplante Gründung einer Lesbenpolitgruppe am 9.3.1983, Kobra, Jan. 1983, Bestand 78.
  2. Selbstdarstellung, Bl. r ; Manuskript der Radiosendung "Hörer machen Programm - Politlesbengruppe Köln", WDR 2, 25.8.1984, S. 4.
  3. Manuskript der Radiosendung "Hörer machen Programm - Politlesbengruppe Köln", WDR 2, 25.8.1984, S. 4: die Orthografie der Abschrift durch den WDR ist des öfteren nicht nachvollziehbar.
  4. Selbstdarstellung, Bl. r.
  5. Anke, Radiomanuskript, S. 2.
  6. Radiomanuskript, S. 9.
  7. Selbstdarstellung, Bl. r
  8. Radiomanuskript, S. 3.
  9. Selbstdarstellung, Bl. r
  10. Selbstdarstellung, Bl. v.
  11. Auch mehrere der in der FBA verbliebenen Lesben standen durchaus ambivalent zur Frage der Mitwirkung sog. Transfrauen, hatten sich aber nicht exkludierend positionieren wollen. ; vgl. dazu die Bachelorarbeit von Alex Mounji im Bestand des Kölner Frauengeschichtsvereins.
  12. Entsprechende Zeugnisse sind vor allem der Zeitschrift Courage zu entnehmen, die ab 1976 erschien.
  13. Es war eine ökonomische Wende, die als „geistig-moralische Wende" verkauft wurde, vgl. Ingo Neumayer: Die Wende von 1982. Helmut Kohl, online https://www.planet-wissen.de/geschichte/persoenlichkeiten/helmut_kohl/pwiediewendevon100.html, Stand: 03.08.2017, abgerufen 13.10.2019.
  14. Selbstdarstellung, Bl v.
  15. Vgl. Neonazis bedrohen Frauenbuchläden, in: Lila Lotta, Nr. 12/1983, S. 22; vgl. Neonazis: Feministinnen bedroht, in: EMMA, Nr. 12/1983, S. 4.
  16. Selbstdarstellung, Bl v. Das Thema "Lesben im KZ" wird heute wesentlich differenzierter behandelt, zum aktuellen Diskurs vgl. z.B. Christian-Alexander Wäldner, ; Claudia Schoppmann: Lesbengeschichte im Nationalsozialismus – neue Spuren. In: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 9/2009. Hamburg: Männerschwarm 2009,S.142-144
  17. Selbstdarstellung Bl. r. - Eine ähnlich lautende Kampagne starteten übrigens die Frauen der glf wnig später mit einem Flugblatt "Und wenn Ihre Tochter so wäre?"
  18. Anke, in: Radiomanuskript, S. 9.
  19. Selbstdarstellung, Bl r.
  20. Vgl.
    „Unter dieser Öffentlichkeit verstehen wir nicht nur den Versuch, uns mit Bitten um Toleranz oder Duldung and (sic) die Mitmenschen zu wenden, sondern zunächst einmal unsere Existenz deutlich zu machen, d.h. dem Verschweigen und der Tabuisierung (allein des Themas schon) unsere Präsenz entgegenzustellen. (…) noch immer gilt die lesbische Liebe nicht als gleichberechtigt, sondern ist mit Vorurteilen behafte. („Pervers, krankhaft, widernatürlich, Kinder/Familienfeindlich (sic), aggressiv, provozierend, lustfeindlich oder lüstern usw.).“ Selbstdarstellung, Bl r.</span>

    </li>

  21. (Selbstdarstellung, Bl. r)
  22. Selbstdarstellung, Bl. r und v. Der Lesbenring existierte seit Herbst 1982, vgl. Flugblatt mit Kölner Adresse FMT FB.04.152 https://www.meta-katalog.eu/Record/bdb2141fmt#?showDigitalObject=bdb2141fmt_1&c=&m=&s=&cv=&xywh=-20%2C80%2C632%2C559. Im Radiointerview führte Anke länger aus: „Wir selbst als Gruppe können den Frauen keine Hilfestellung geben wir können uns nur über jede Frau, die sich bei uns meldet, freuen und ihr sagen, was es halt so alles noch gibt. Z.B. den deutschen Lesbenring. Wo man also bemüht ist, über ganz Deutschland ein Kontaktnetz aufzubauen, wo man versucht, die Frauen zu beraten, ihnen zu helfen, wo möglich auch Adressen zu tauschen, wenn irgendjemand sonst wohin fahren möchte, daß er dort offen und willkommen ist, daß also offen aufgenommen wird, daß also wirklich so ein Informationsnetz unter Frauen, die sonst gar nicht mit anderen Frauen zusammenkommen funktioniert, daß sie also nicht denkt, ich sitze hierin meinem Dorf, das Leben geht an mit vorbei. Ich habe niemanden der mir irgendwo helfen kann, ich habe‘ jemanden, wo ich hinfahren kann. Mit meinen Interessen, mit meinen Problemen. Und in diesem Sinne arbeiten wir halt mit dem Deutschen Lesbenring zusammen, der auf dieser Ebene arbeitet.“ Radiomanuskript, S. 25.
  23. Selbstdarstellung, Bl v.
  24. Radiomanuskript, S. 13.
  25. B. fragte z.B., ob sie sich auch in ihn hätten verlieben können, wenn sie ihn getroffen hätten. Im Manuskript steht: Keine lacht! Er wirkte gekränkt, dass die Lesben, die damals keinen Zugang zu Samenbanken hatten, einen - meist befreundeten - Mann für den Gewinn von Sperma in Anspruch nehmen wollen. Der Mann werde benutzt, es handele sich ja nicht um Liebesbeziehungen zur Kinderzeugung etc. (S. 17.)B. erwähnte latent aggressiv, seine Frau sei gerade schwanger, warte auf das Kind im Kreißsaal, während er die Sendung mache[n müsse]. Er charakterisierte das Leben ohne Mann als Gettoisierung (S. 12) und erfragte, was das Spezifische an der Liebe zu einer Frau sei, "was halt nach Eurer Einschätzung mit Männern nicht möglich ist?" (S. 19). Sodann wollte er erfahren, wie weit ihre Beziehungen zu Männern gehen könnten? Er rief erfolglos scheinbare Fetische wie die Oberschenkel von Rummenigge auf, redete dann über seine Angst vor dem Schwulsein. Er fragte, warum sie Ina Deters Lied "Neue Männer braucht das Land" nicht gewählt hätten (S. 22). Inge erwiderte: „Also ich werde jetzt aggressiv. […] Also, daß wir immer über Männer reden müssen. Das finde ich irgendwie schlimm, ne! Weil - okay, wir kommen im Alltag als Lesben nicht an Männern vorbei, ich beschränke mich wirklich, das habe ich ja vorhin gesagt, weitgehend darauf, also mit Männern fast nichts zu tun zu haben. Und jetzt muß ich hier als Politlesbe in der Sendung über Männer reden. Jetzt werd ich gleich furchtbar giftig!" Ungestört will er weiterhin wissen, „ob Männer eigentlich nur noch NIHIL für euch sind, oder ein bißchen mehr zumindest."(S. 23)
  26. S. 13.
  27. Radiomanuskript, S. 14.
  28. Radiomanuskript, S. 15.
  29. Radiomanuskript, S. 7.
  30. Radiomanuskript, S. 9.
  31. Vgl. ebenda, S. 10.
  32. Vgl. ebenda, S. 9/10.
  33. Radiomanuskript, S. 18.
  34. Radiomanuskript, S. 5, Orthografie durch den WDR.
  35. Radiomanuskript, S. 6.
  36. Radiomanuskript, S. 11.
  37. Radiomanuskript, S. 11.
  38. Radiomanuskript, S. 12/3.
  39. Radiomanuskript, S. 24/25.
  40. Radiomanuskript, S. 7 und S. 8.
  41. Radiomanuskript, S. 7 und S. 8.
  42. Vgl. Radiomanuskript, S. 25.
  43. Radiomanuskript, S. 26.
  44. Vgl. Radiomanuskript, S. 26.
  45. [Politlesbengruppe]: "Plakatwand gemietet" - Eine Aktion der Kölner Politlesbengruppe, in: Lila Lotta, 1985, H. 9/ S. 27-28. Damals gab es noch kaum differenzierte Forschung zu den Aspekten Lesben im NS und Lesben im KZ.
  46. Die Anmietung war damals noch möglich, heute würden die Wände nicht mehr für politische Aussagen hergegeben.
  47. [Politlesbengruppe]: "Plakatwand gemietet" - Eine Aktion der Kölner Politlesbengruppe, in: Lila Lotta, 1985, H. 9/ S. 27-28.
  48. Vgl. [Politlesbengruppe]: "Plakatwand gemietet" - Eine Aktion der Kölner Politlesbengruppe, in: Lila Lotta, 1985, H. 9/ S. 27-28.
  49. Vgl. Sabine Hark: Eine Lesbe ist eine Lesbe, ist eine Lesbe... oder? Notizen zu Identität und Differenz. Feminismus und Lesben in den 80ern? in: Nirgendwo und überall. Lesben, beiträge zur feministischen theorie und praxis, Jg. 12, 1989, H. 25/26S. 59¬70.
  50. Caroline Rosales: Kein richtiger Sex. Lesbische Liebe wird in Pornos gern gezeigt, um Männer zu erregen. In der Gesellschaft ist weibliche Homosexualität aber noch immer so wenig sichtbar wie anerkannt, in: DIE ZEIT, vom 1. Februar 2019 https://www.zeit.de/kultur/2019-01/lesbische-liebe-frauen-diskrimminierung-homophobie-sexuelle-freiheit-aufklaerung/komplettansicht.
  51. </ol>

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