Movies und Uris: Unterschied zwischen den Versionen

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Letztlich hatten damit die Les Movies den Les Uris zur Selbstentfaltung und moralischen Neubewertung der Liebesbeziehungen zwischen Frauen verholfen.</ref>
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Letztlich hatten damit die Les Movies den Les Uris zur Selbstentfaltung und moralischen Neubewertung der Liebesbeziehungen zwischen Frauen verholfen.  
  
 
In den folgenden Monaten bildeten sich neue Konfliktpunkte, u. der Wunsch nach Mitarbeit von heute Transfrauen genannten Menschen in der FBA, darüber kam es zum Ende der Movies und Uris und zum Auszug  von 18 Gegnerinnen einer Mitarbeit aus dem Frauenzentrum, wogegen die Mehrheit der FBA zustimmte.<ref>Vgl. zu dem Konflikt die Bachelorarbeit von Alexander Mounji: Transsexualität und Feminismus. Das „Transsexuellenproblem“ in der Kölner Frauenbefreiungsaktion, Köln Historisches Seminar 2018, Kopie im Kölner Frauengeschichtsverein.</ref>  
 
In den folgenden Monaten bildeten sich neue Konfliktpunkte, u. der Wunsch nach Mitarbeit von heute Transfrauen genannten Menschen in der FBA, darüber kam es zum Ende der Movies und Uris und zum Auszug  von 18 Gegnerinnen einer Mitarbeit aus dem Frauenzentrum, wogegen die Mehrheit der FBA zustimmte.<ref>Vgl. zu dem Konflikt die Bachelorarbeit von Alexander Mounji: Transsexualität und Feminismus. Das „Transsexuellenproblem“ in der Kölner Frauenbefreiungsaktion, Köln Historisches Seminar 2018, Kopie im Kölner Frauengeschichtsverein.</ref>  

Aktuelle Version vom 6. Januar 2022, 14:56 Uhr

Movies bzw. Uris waren Bezeichnungen von Gruppen sogenannter Bewegungs-Lesben und Ur-Lesben im Köln der 1970er Jahre.


Entstehungskontext

Die Siebziger Jahre waren ein Jahrzehnt, „in dem Frauen sich selbst in den Mittelpunkt rückten.[1] Es war auch das Jahrzehnt der Sichtbarmachung von Lesben, denn viele Aktivistinnen wandten sich nach theoretischen Auseindersetzungen mit der Frauenunterdrückung Frauen als sexuellen Partnerinnen zu.

Ein aufrüttelnder Faktor war, dass während eines Prozesses gegen zwei homosexuelle Frauen (Fall Ihns / Andersen) 1974 erstmals bundesweit gegen die Art der Berichterstattung protestiert und auf massive Diskriminierungen in der Öffentlichkeit aufmerksam gemacht wurde. Auch aus Köln fuhren Frauen ins norddeutsche Itzehoe zum Gerichtsgebäude, um offensiv gegen die medialen Verzerrungen aufzutreten. Hierbei handelte es sich vorrangig um lesbische Frauen, die sich schon länger als homosexuell definiert hatten. Vereinzelt fuhren aber auch solidarische Feministinnen mit, die sich bisher nicht als lesbisch empfunden hatten.[2] Der Widerstand gegen die Prozessführung und -berichterstattung bewirkte eine deutliche Veränderung im Selbstbewusstsein und der Bereitwilligkeit zur Selbstbezeichnung als Lesbe.[3]

Einige Forscherinnen markieren das Jahr 1974 als 'feministische Wende', bei der sich die Aktivistinnen - oft erstmals - auch als lesbische Frauen definierten und damit als zweifach Unterdrückte erkannten.[4] Die Rezeption von Texten der US-amerikanischen Lesbenbewegung aus den frühen 1970er Jahren schärfte die Positionen, gab neue Impulse für die Selbstwahrnehmung von homosexuellen Feministinnen. Diese Position erschienen zunächst vereinzelt in bundesdeutschen Zeitschriften, dann in einem Aufsatzband.[5] Im 1974 erschienenen Buch „Frauenliebe“ mit Texten aus den frühen 1970ern politisierten sich die lesbischen Frauen zweifach: Erstens wurden sie als Frau aufgefordert, sich am feministischen Kampf gegen zu enge Frauenrollen zu beteiligen. Zweitens deckten die Texte die psychiatrischen und theologischen Restriktionen auf und ermutigten zu "Stolz" und Selbstorganisation. Vor allem der Text der Gruppe Radicalesbians "The Woman-Identified Woman" („Frauen, die sich mit Frauen identifizieren“) wurde häufig zitiert und war das erste lesbisch-feministische Manifest.[6] Laut Sabine Peters wurden die amerikanischen Texte „zu Vorbildern des Selbstausdrucks, sowohl hinsichtlich politischer Inhalte, als auch bezüglich der Terminologie“.[7]

In zum Teil pathetischen Passagen wurde der Durchbruch zur lesbischen Liebe gepriesen:

„Die von uns, die sich da hindurchgearbeitet haben [durch Schuldgefühle, Isolation, Verheiratung, Sozialisation, die Verf.in], finden sich am anderen Ende einer Reise durch die Nacht, die Jahrzehnte gedauert haben kann. Die Perspektive, die wir durch diese Reise gewonnen haben, die Selbstbefreiung, den inneren Frieden, die wirkliche Liebe zu sich selbst und zu allen Frauen ist etwas, das mit allen Frauen geteilt werden sollte, weil wir alle Frauen sind.“[8]
Es sei nicht unwichtig, dass lesbische Frauen in der Frauenbewegung aktiv seien:
„Es ist absolut wesentlich für den Erfolg und die Erfüllung der Frauenbefreiungsbewegung, daß wir uns mit diesem Thema befassen. Solange das Etikett ‚lesbisch‘ dazu benützt werden kann, Frauen einzuschüchtern, sie an Militanz zu hindern, sie von ihren Schwestern zu trennen, irgendetwas anderem als Männern und Familie den Vorrang zu geben, solange werden Frauen in diesem Ausmaß von der männlich dominierten Gesellschaft kontrolliert werden. Solange Frauen nicht in sich die Möglichkeit sehen, sich ganz wesentlich füreinander zu engagieren - was sexuelle Liebe mit einschließt – solange verweigern sie sich selbst die Liebe und Wertschätzung, die sie Männern so bereitwillig zukommen lassen und bestätigen somit ihren zweitklassigen Status.[9] Und das Fazit lautete: „Unsere Energien müssen auf unsere Schwestern gerichtet sein und nicht auf unsere Unterdrücker.“[10]
Die Radicalesbians waren die ersten, die den Heterosexismus der heterosexuellen Feministinnen brandmarkten.[11] Radicalesbians waren eine Antwort darauf, dass der Mainstream-Feminismus sich Lesbenthemen verweigerte, geschweige denn für Lesbenrechte kämpfte. Die Gruppe konstatierte, das Herz der Frauenbewegung sei die Vorrangstellung von Frauen, die sich auf Frauen bezögen, von Frauen, die ein neues Bewußtsein entwickeln würden. Heterosexualität galt als politisches Regime, das zu überwinden sei. Radikallesbische Frauen postulierten, s i e seien die Vorhut im Kampf um Frauenrechte, da ihre Identifikation mit anderen Frauen traditionellen Definitionen von weiblicher Identität in Bezug auf Männer trotzten. Sie forderten nichts weniger als eine kulturelle Revolution. Ihr Ansatz war weniger auf Gleichberechtigung ausgerichtet als der allgemeine Feminismus, sondern stärker auf Freiheit von Frauen orientiert. Es ging ihnen weniger um direkte Reformen als um die Zertrümmerung des mentalen Status quo. Ihr Zugang war stark identitätsbezogen. Sie präsentierten stolz eine neue Denk- und Lebensweise namens Lesbianismus. Die Beschäftigung mit den amerikanischen Texten unterfütterte das neue Konzept von Liebe (als Emotionalität, Erotik, nicht nur Sexualität unter Frauen) 'ideologisch'.[12] Ursula Linnhoff, eine Kölner Soziologin aus dem sozialistischen Milieu Kölns, schrieb:
”Durch solche Denkansätze wird Lesbianismus nicht mehr reduziert auf das Sexualverhalten, sondern als eine spezifische psychologische Rebellion der Frauen gegen ihre vorgeschriebene Rolle in der Männergesellschaft verstanden. Der Begriff nimmt damit die politische Dimension einer Kampfparole in einer von Männern beherrschten Welt an.”[13]

Nicht länger wollten sie sich mit der Unterdrückung und Diskriminierung 'der Frauen im Allgemeinen' befassen, nicht länger die Interessen der Schwulen wichtiger nehmen als die eigenen, nicht länger auf Toleranz hoffen, nicht länger aufklären wie nach dem Ihns/Anderson-Prozess, nicht mehr „von einer Außenseiter- und Minderheitenposition heraus“ argumentieren. Sondern sie machten ihre Kritik an „Heterosexualität als Natur, Norm und Zwang, als politische Institution im Patriarchat“ zum „Dreh- und Angelpunkt“ des neuen Denkens über feministische Politik.[14]

Köln

Die Kölner Publizistin Ursula Linnhoff führte bereits 1973 den Begriff 'Lesbianismus' in Köln und Deutschland ein, indem sie ihn auf dem Cover der von ihr mit herausgegebenen Zeitschrift efa abdruckte.[15] 1976 gab sie im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch den Band „Weibliche Homosexualität“ mit Auszügen aus Texten US-amerikanischer lesbischer Feministinnen heraus und kommentierte, dass mit der Selbstbezeichnung als Lesbe eine Politisierung der Lebensweise einhergehe.

Seit der Auflösung der Kölner Lesbengruppe Homosexuelle Frauenaktion (HFA) um 1974 bzw. deren teilweiser Überführung in die FBA (Frauenbefreiungsaktion) bestand innerhalb der Kölner feministischen Bewegung keine explizite Lesbengruppe mehr. Allerdings stieg durch Adressveröffentlichungen und Presseberichte die Gruppe der interessierten Neu-Feministinnen stetig an, und es vereinten sich Frauen mit sehr diversen Interessen. So stieg auch die Anzahl von Frauen, die sich neben der Sache der Frauen auch der Liebe zu Frauen verschrieben. Nicht wenige hatten zu dem Zeitpunkt des ersten Kontaktes mit den Ideen der Frauenbewegung mit Männern gelebt und sich als heterosexuell definiert, wenn diese Definierung üblich gewesen wäre. Bei einem Arbeitswochenende der Kölner FBA im Juni 1975 wagte sich die offene lesbisch lebende Gertraut Müller provokativ zu fragen: „Haben Frauen noch heterosexuelle Beziehungen?“, was einen gewissen Umschlag der sexuellen Orientierung hin zum Lesbisch-Lieben nahelegt.[16]

Für Köln beschrieb auch die Politikwissenschaftlerin und Zeitzeugin Claudia Pinl einen Paradigmenwechsel ab Mitte der 1970er Jahre.
"Inzwischen hatten viele der aktivsten Frauen ihren Ehemännern oder Lebensgefährten Ade gesagt und sich in die Frau, mit der sie Flugblätter entwarfen oder Selbstuntersuchung machten, verliebt.“[17] Daher „war es in der Frauenbewegung gar nicht schwer, lesbisch zu sein. Im Gegenteil. Die Heteras (heterosexuelle Frauen, die Verf.in) befanden sich mittlerweile im Erklärungsnotstand, weil sie den Spagat aushalten mußten, öffentlich gegen das Patriarchat und seine Agenten, die Männer, aufzutreten und privat zu dem einen oder anderen eine Liebesbeziehung zu unterhalten."[18]

Ganz so 'hegemonial' war die Tendenz zur Umorientierung realiter nicht, doch es entstanden 1976 zwei neue Lesbengruppen: die sog. Movies und als Reaktion darauf die Uris.

Les Movies

Anfang 1976 gründete sich innerhalb der FBA eine Gruppe von überwiegend „Konvertitinnen“, sogenannten Bewegungslesben, die die neue Lebensweise besonders vertreten wollten. Sie formierten mit anderen feministischen Lesben einen AK und nannten sich Les Movies (von engl. Movement).[19] Die Gruppenmitglieder unternahmen zahlreiche Aktionen, um in der Öffentlichkeit stolz bis provokativ die lesbische Liebe zu demonstrieren, so z.B. bei einem Kiss-In in der Straßenbahn.[20]

In theoretischen Abhandlungen betonten sie die Differenz zu Männern. Als Schriftstellerin Julia Bähr erinnerte Claudia Pinl in ihrem Schlüsselroman "Klatschmohn" an diese Zeit.

„Neu war dagegen das gewachsene Selbstbewußtsein der Lesben. Sie fingen an, ihre Identität, ihre Bedürfnisse, ihr Verständnis von Feminismus in den Vordergrund zu stellen. Nicht mehr bescheidene Anpassung, was etwa mein Verhalten über Jahre war; oder der Versuch, außerhalb der FBA eine Lesbengruppe zu gründen, war die Politik. Vielmehr hieß Frauenbefreiung für immer mehr Frauen, die Freiheit, Frauen zu lieben, auch körperlich, auch sexuell, und die Frauenbewegung war für sie der politische Ort, um für die Freiheit zu kämpfen. Das war für viele Frauen mit Männerbeziehungen eine permanente Provokation. Das neue Lesben-Selbstverständnis wurde wesentlich getragen von den ‚Bewegungs-Lesben‘. Der erste Lesben-Arbeitskreis in der Kölner FBA war denn auch eine Gründung von Frauen, die erst in der Frauenbewegung zu Lesben geworden waren, und nannten sich ‘Les Movies‘. Dass die ‚Movies‘ mit der ‚Elite‘ weitgehend identisch waren, verwundert nicht.- In ihren Diskussionspapieren kann frau nachlesen, daß sie sich als Avantgarde der Gruppe verstanden, daß sie ihren neugefundenen Lebensstil als politischen Durchbruch feierten.“[21]
Und als Politikwissenschaftlerin analysierte Claudia Pinl in einem Artikel:
„In der zweiten Hälfte der 70er Jahre bestand der Kern der Kölner ‚Frauenbefreiungsaktion‘ vor allem aus ‚Bewegungslesben', die mit ihrer neuentdeckten, lustvollen Einheit von Theorie und Praxis ein geradezu strotzendes Selbstbewußtsein verbanden.[22] [...] Viele der frischverliebten Neulesben trugen einen etwas penetranten politischen Anspruch vor sich her, feierten sich und ihre Liebsten mit einem fröhlichen Dauer-Coming-Out (zum Beispiel ‚Lesbisch-Straßenbahn-Fahren‘ - frau bestieg zu mehreren die KVB und küßte sich und küßte sich und küßte sich …). Die Urlesben mit ihrer langen Erfahrung von Versteckspiel und Angst vor Ausgrenzung konnten sich darauf nicht so unbeschwert einlassen. Und viele Heteras fühlten sich jetzt ihrerseits ausgegrenzt und abgelehnt. Der Maxime ‚Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis‘ drohte eine ausgrenzende Interpretation nach dem Motto: ‚Sage mir, mit wem du schläft, und ich sage dir, wer du bist.'[23]

Das Dogma der Movies war "Lesbischsein als politische Strategie" - so lautete auch ein Vortrag, den die Lehrerin Ute S., die kurz zuvor noch verheiratet gewesen war, am 7. März 1976 auf dem internationalen Russell-Tribunal "Gewalt gegen Frauen" in Brüssel gehalten hatte.[24] Im ersten Diskussionspapier des AK Les Movies vom Februar 1976 - präsentiert auf einem gemeinsamen Arbeitswochenende mit anderen FBA-Frauen - wurden Ausschnitte aus Schlüsseltexten abgedruckt: z.B. eine Passage über Männerfeindlichkeit aus Ursula Krechels Text „Selbsterfahrung und Fremdbestimmung“. Ein Textbeitrag aus dem Journal Nr. 1 der Frauenoffensive von 1974 und eine (zum Teil fehlerhaft zitierte) Passage aus „Frauenliebe“ mit Kritik an dem Aufsatzband weiterhin heterosexuell lebender Feministinnen und deren Versuchen, den Mann zu sozialisieren bzw. kultivieren.[25]

„Solange die Frauenbewegung versucht, Frauen zu befreien, ohne sich mit dieser grundsätzlichen heterosexuellen Struktur auseinanderzusetzen, die uns in Zweierbeziehungen mit unseren eigenen Unterdrückern bindet, werden weiterhin ungeheuerliche Energien darauf verwandt werden, die individuelle Beziehung mit dem Mann geradezubiegen, besseren Sex zu haben, ihn zur Vernunft zu bringen, aus ihm den „neuen Mann“ zu machen, in der Illusion, daß das uns ermöglichen würde, die neue Frau zu sein. (…) Nur Frauen können einander ein neues Gefühl ihrer selbst geben. Diese Identität müssen wir mit Bezug auf uns und nicht in Hinsicht auf die Männer entwickeln. Dieses Bewußtsein ist eine revolutionäre Kraft, aus der alles andere folgen wird, denn unsere Revolution ist eine organische Revolution.(…) Unsere Energien müssen auf unsere Schwestern gerichtet sein und nicht zurück auf unseren Unterdrücker.“[26]
Es schloss sich eine kurze Sentenz aus dem Manifest der öko-feministischen Autorin Françoise d’Eaubonne an, die als Feministin und Mitglied der Homosexuellenorganisation Front homosexuel d'action révolutionnaire (FHAR) u.a. Überbevölkerung und Umweltzerstörung durch Männer zum Thema machte und das Heil im Lesbianismus sah.[27] D’Eaubonne war eine eindeutige Differenztheoretikerin, die die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern ebenso kritisierte wie die heteronormative Machtstruktur der Gesellschaft. Sie verknüpfte diese Analyse mit der Kritik an der Ausbeutung der Natur, wobei sie als eine der ersten Theoretikerinnen ökologische Lebensbedingungen einforderte, aber auch explizit für die heute inhuman erscheinende Idee der Dezimierung der Anzahl von Männern aufgrund ihres Gewaltpotentials plädierte.[28]

Die Movies ließen keinerlei Zweifel daran, dass die sexuelle Orientierung, das Begehren, dem politischen Denken folgen könne und widersprachen damit den gängigen Theorien, Homosexualität sei eine genetische Veranlagung oder eine psychologische Folge der Enttäuschung durch Männer. Allerdings gab es innerhalb der FBA Widerstand gegen die neue Doktrin. Lesbianismus sollte nicht als verbindliche Vorgabe gelten.

„Lesbianismus wird von uns als alternative Lebensform, als eine mögliche Strategie im Kampf gegen das Patriarchat gesehen. Lesbianismus als die Strategie schlechthin lehnen wir aus folgenden Gründen ab: - ökonomisch vom Mann abhängige Frauen werden abgeschreckt, da wir ihnen in ihrer momentanen Situation keine konkreten Alternativen (z.B. Frauenhaus) bieten können, denn noch ist Lesbianismus eine Lebensform mehr oder weniger privilegierter Frauen. – Gefahr des Sektierertums, da Frauen, die weiterhin den Wunsch haben, Beziehungen zu Männern aufrechtzuerhalten, ausgeschlossen werden. – Nachdem wir uns endlich davon gelöst haben, ständig nach irgendwelchen Regeln zu leben und uns immer zu rechtfertigen, wollen wir nicht wieder in den Fehler verfallen, Frauen Vorschriften zu machen.“ [29]
Es gab zudem Streitigkeiten über die Rangfolgen der Unterdrückung.
„Lesben auf der untersten Stufe der Rangskala unserer Gesellschaft – noch unter Schwulen (sic) Männern. Kritik von Gertraut: Lesben werden von den Heteros in der FBA unterdrückt. Zurückweisung von Biggi: Heteros werden von lesben (sic) ebenfalls unterdrückt.“[30]

1978 veröffentlichten die Wortführerinnen Ute und Ulrike den Text: "Tollgewordene Lesben?", in dem sie die zuvor getätigten Statements des Sich-Entziehens wiederholten und die Problematik der sexuellen Orientierung thematisierten[31] … „wenn übrigens die Frauenbewegung diesen Machtfaktor des Lesbischseins nicht begreift und für sich nutzbar machen kann, wird sie von den Männern nur Anpassungen des patriarchalischen Systems erreichen, aber kein gleiches Recht für Frauen. Vielleicht wird sie sogar untergehen wie die alte Frauenbewegung, weil sie kein Bewußtsein von der wahren Macht von Frauen entwickelt.“ Der Staat mache gerade geringe Zugeständnisse, um den Frauen Sand in die Augen zu streuen. „Wenn Frauen aber lesbisch werden oder wenigstens verstehen und sympathisieren, hätte die Frauenbewegung ein mächtiges Kampfmittel.“. Ute und Ulrike: Tollgewordene Lesben?, hier S. 6.</ref>


Les Uris

Von den Movies grenzte sich die Gruppe der 'Ur-Lesben', 'Alt-Lesben' oder 'Immer-schon-Lesben' als 'Uris' ab. Nicht nur die Forderung nach Militanz hat die seit Jahren 'versteckt lesbisch' lebenden Frauen verstört, sondern auch die Ignoranz gegenüber den Lebensbedingungen von homosexuellen Frauen v o r der neuen Frauenbewegung und die Positionierung der Movies als Avantgarde.

Bähr erinnert sich:

Die ganzen Schwierigkeiten von Schon-immer-Lesben, in der Gesellschaft und auch in der Frauengruppe – darüber wurde mit revolutionärer Begeisterung hinweggegangen, […]. „Die Unterdrückung, die die ‚Alt-Lesben‘ zum großen Teils schon verinnerlicht hatten, die besonderen Schwierigkeiten einer Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen des ‚schwachen‘ Geschlechts – das alles spielte kaum eine Rolle.“[32]

Einige Uris urteilten, die Einheitsstrategie der Movies funktioniere auch deshalb nicht, weil es große Differenzen zwischen den Frauen gebe.

„Es kann gar keine einheitliche Strategie geben, weil unterschiedliche Frauen sehr unterschiedliche Erfahrungen und Bedürfnisse haben, sich in unterschiedlichen ökonomischen, sozialen sexuellen Verhältnissen befinden, in unterschiedlichen Graden von Abhängigkeit gegenüber Männern. Eine Einheitsstrategie nach Art der ‚Movies‘ geht über die Situation vieler Frauen hinweg, läßt sie außen vor. Wichtig ist daß alle Frauen, egal an welchem Punkt sie sich befinden, die Möglichkeit haben, ihre Situation zu verändern, wenn sie wollen […]“.[33]

Eine Folge der neuen Diskurse, die das Frausein positiv bewerteten, waren laut Peters die reziproke „Zuschreibung starrer Stereotypen“ an die Urlesbe:

„Wichtiges Element der stärkeren Abwertung der Traditionslesben ist der Vorwurf, sie seien Pseudo¬Männer, die sich in einer nachgemachten Männerwelt bewegten, wogegen die Bewegungslesben nichts gegen Männer hätten.“[34]

In der Tat hatten einige Urlesben oder auch ‘Traditionslesben’ in Ermangelung anderer Orte in einschlägigen Sublokalen verkehrt, in denen meist einer „heterosexuell“ eingeführten maskulin-femininen Rollenmatrix gefolgt wurde, bei der die eine die männeridentifizierte Lesbierin gab, den sog. 'Kessen Vater', und die andere die Feminine.[35] Die Erwartung eines vorgeblich maskulinen Rollenverhaltens auf Seiten der Lesbe bröckelte im Kontext der neuen Frauenbewegung. Aber auch die Uris verwehrten sich gegen diese Kategorisierung. Aus Verärgerung schlossen sich 1976 im Gegenzug diejenigen homosexuellen Frauen zusammen, die sich zum Teil als „lesbisch geboren“ definierten, die bisher oft versteckt gelebt hatten und die häufig jahrelanges Leid hinter sich hatten.

Sie nannten sich in Köln „in enger Anlehnung an unsere Schwestern vom Arbeitskreis ‚Les Movies‘ ‚Les Uris‘, weil wir Urlesben waren, sind und bleiben.“[36]

Es heißt weiter:
„Zum ersten mal können wir unsere probleme als lesben offen diskutieren, ohne daß andere frauen uns den Vorwurf machen, wir würden sie mit unseren problemen unterdrücken. bisher haben wir selbsterfahrung zum thema beziehungen und sexualität gemacht. wir möchten durch unseren arbeitskreis unsere identität als lesbische frauen stärken, weil wir das versteckspiel außerhalb und innerhalb der f.b.a. satt haben.“[37]


Letztlich hatten damit die Les Movies den Les Uris zur Selbstentfaltung und moralischen Neubewertung der Liebesbeziehungen zwischen Frauen verholfen.

In den folgenden Monaten bildeten sich neue Konfliktpunkte, u. der Wunsch nach Mitarbeit von heute Transfrauen genannten Menschen in der FBA, darüber kam es zum Ende der Movies und Uris und zum Auszug von 18 Gegnerinnen einer Mitarbeit aus dem Frauenzentrum, wogegen die Mehrheit der FBA zustimmte.[38]


Literatur über Lesbengruppen der 1970er Jahre

  • 1974 Arbeitsgruppe des Lesbischen Aktionszentrums Westberlin [LAZ] (Hg.): Frauenliebe. Texte aus der amerikanischen Lesbierinnenbewegung, Berlin Come-out-Lesbenverlag.
  • 1976 Ursula Linnhoff: Weibliche Homosexualität zwischen Anpassung und Emanzipation, Köln Kiepenheuer & Witsch.
  • 1979 Ina Kuckuck (alias Ilse Kokula): Der Kampf gegen Unterdrückung. Materialien aus der deutschen Lesbierinnenbewegung, München Frauenoffensive.
  • 1984 Julia Bähr: Klatschmohn. Eine Geschichte aus der Frauenbewegung, Köln Kiepenheuer & Witsch.
  • 1995 Claudia Pinl: Der Charme der frühen Jahre. Rückblick einer Betroffenen, in: "10 Uhr pünktlich Gürzenich". Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln; zur Geschichte der Organisationen und Vereine, Münster agenda, S. 316-318.
  • 1995 Martina Weiland: "Und wir nehmen uns unser Recht". Kurzgefaßte Lesbenbewegungsgeschichte(n) der 70er, 80er, 90er Jahre in West¬Berlin, nicht nur für Berlinerinnen, in: Anke Schäfer, Katrin Lahusen (Hg): Lesbenjahrbuch 1. Rücksichten auf 20 Jahre Lesbenbewegung, Wiesbaden, S. 31¬39.
  • 1996 Claudia Pinl: "Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis". Über Lesben in den Anfängen der neuen Frauenbewegung, in: Marianne Rogler; Michael Meiger (Hgg.): Das andere Stadtbuch, Köln Kiepenheuer & Witsch, S. 42-45.
  • 2003 Barbara Holland-Cunz: Die alte neue Frauenfrage, Frankfurt/Main Suhrkamp
  • 2007 Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziskla Rauchut (Hgg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin Querverlag.
  • 2014 Sabine Peters: Weibliche Homosexualität im öffentlichen Sprachgebrauch der Westzonen und der BRD, Magistraarbeit an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, vorgelegt im April 1997 online auf https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-30236/magisterarbeit_2014.pdf, zuletzt besucht am 10.11.2019.


Archivmaterial

  • Kölner Frauengeschichtsverein (Köfge), Bestand 1, Mappen 12 und 13.


weblinks


Einzelnachweise

  1. Gabriele Dennert; Christiane Leidinger; Franziska Rauchut (Hg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin Querverlag 2007, S. 31.
  2. Vgl. das Dokument Frauengruppe aus Köln u.a.: Flugblatt „Tatmotiv lesbische Liebe? Tatmotiv Notwehr!“ Zum Freispruch von Judy Andersen, in: Bestand 1, Mappe 11.
  3. Vgl. Gabriele Dennert; Christiane Leidinger; Franziska Rauchut: Lesben in Wut. Lesbenbewegung in der BRD der 70er Jahre, in: Dennert et. al, S. 31-61, bes. S. 43-44; vgl. Irene Beyer: Der "Lesbenprozeß" in Itzehoe 1974. Diskriminierung - Politisierung - Solidarisierung, in: Ihrsinn, 8 (1997)16, S. 13-24.
  4. Vgl. Dennert et al: Lesben in Wut, S. 48.
  5. Vgl. den Aufsatzband Arbeitsgruppe des Lesbischen Aktionszentrums Westberlin [LAZ] (Hg.): Frauenliebe. Texte aus der amerikanischen Lesbierinnenbewegung, Berlin Come-out-Lesbenverlag 1974; 1975 erschien es im Verlag des LAZ /Lesbisches Aktionszentrum in Berlin. - Der Begriff Frauenliebe war schon in den 1920er Jahren Titel einer Lesbenzeitschrift gewesen, diese „Frauenliebe“ - erschienen zwischen 1926 und 1930 im Bergmann-Verlag und ist im Spinnboden-Archiv einzusehen.
  6. Frauen, die sich mit Frauen identifizieren, in: Frauenliebe, S. 13-18. Die Radicalesbians hatten sich gegründet, weil der starke liberale Frauenrechtsverband NOW unter Betty Friedan "lesbische" Themen und Forderungen als Lavender Menace bezeichnet und die Protagonistinnen aus dem einflussreichen Verband ausgeschlossen hatte. Bei einer NOW-Tagung im Mai 1970 publizierten Lesben, darunter Rita Mae Brown, das erste Statement der vorher nicht existierenden Gruppe. Das Dokument ist online einsehbar in den Digital Collections der Duke University als Besitz der David M. Rubenstein Rare Book & Manuscript Library https://repository.duke.edu/dc/wlmpc/wlmms01011 Permalink: https://idn.duke.edu/ark:/87924/r3gx1t; vgl. Einleitung zu Frauenliebe, S. 5-8; vgl. die Wikipedia-Seite https://en.wikipedia.org/wiki/The_Woman-Identified_Woman, zuletzt besucht am 10.11.2019.
  7. Peters, Bl. 26.
  8. Radicalesbians, in: Frauenliebe, S 13.
  9. Radicalesbians, in: Frauenliebe, S. 15/6.
  10. Radicalesbians, in: Frauenliebe, S 17.
  11. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Radical_lesbianism und https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_lesbianism_in_the_United_States#1970s:_Lesbians_and_feminism.
  12. Diese Wende erfolgte zu einer Zeit, in der das Thema Identität erstmals eine große Rolle spielte, da Unterschiede innerhalb der Frauenbewegung sichtbar wurden, die in den später 1960ern noch durch gemeinsame (eher sozialistische) Ziele überlagert gewesen waren.
  13. Ursula Linnhoff: Weibliche Homosexualität zwischen Anpassung und Emanzipation, Köln Kiepenheuer & Witsch, 1976, S. 36.
  14. vgl. Dennert et al,S. 48.
  15. Vgl. efa, H. 1/1973 Köln.
  16. Protokoll vom Arbeitswochenende der FBA am 17. Juni 1975, Köfge, Best. 1 Mappe 12, Bl. 37.
  17. Claudia Pinl: „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis.“, in: Marianne Rogler; Michael Meiger (Hg.): Lesben und Schwule in Köln, Köln Kiepenheuer & Witsch 1996,S. 42-45, hier S. 42.
  18. ebenda
  19. vgl. Köfge, Best. 1, Mappe 13: Diskussionspapier des AK Les Movies vom 29.2.1976, Bl. 66, namentlich unterschrieben von Doro, Enka?, Christine, Ute, Angelika. Ulrike, Anne, Frauke, Heide A., Heide (L.) und Doris.
  20. Die Idee stammte von der Westküste der USA.
  21. Julia Bähr: Klatschmohn. Eine Geschichte aus der Frauenbewegung, Köln Kiepenheuer & Witsch, 1984, S. 120.
  22. Claudia Pinl: "Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis. Über Lesben in den Anfängen der neuen Frauenbewegung", in Marianne Rogler; Michael Meiger (Hgg.):"Das andere Stadtbuch", Köln Kiepenheuer & Witsch, 1996, S. 42-45, hier S. 42.
  23. Claudia Pinl: "Feminismus, hier S. 44.
  24. Ute Schumacher-Wex: "Lesbischsein als politische Strategie", Rede am 7.3.1976 auf dem Brüsseler Tribunal [...] für die Kölner "Les Movies" (Bewegungslesben) in der FBA, Köfge Best. 1, Mappe 12. Laut Bähr hatte die Wortführerin noch einige Jahre zuvor „Angst gehabt, ihre Ehe durch die Lektüre von Karl Marx zu gefährden.“, S. 122. Vgl. zum Tribunal http://womenation.org/wp-content/uploads/2013/09/Crimes_Against_Women_Tribunal.pdf, zuletzt besucht am 10.11.2019.
  25. Vgl. Diskussionspapier des AK Les Movies vom 29.2.1976, Köfge, Best. 1, Mappe 13, Bl. 64.
  26. ebenda; der Text ist fast identisch mit dem Manifest der Radicalesbians, S. 17.
  27. vgl. Diskussionspapier des AK Les Movies vom 29.2.1976, Bl. 66.
  28. Vgl. https://resonanzen.hypotheses.org/652; vgl. Elke Bohm: Rezension, in Courage, H. 0/1976, S. 15, online http://library.fes.de/courage/pdf/1976_00.pdf, zuletzt besucht am 10.11.2019.
  29. Protokoll FBA vom 6.5.76, Best. 1, Mappe 13, Bl. 90.
  30. Protokoll FBA Arbeitswochenende 17.6.1976, in: Best. 1, Mappe 12, Bl. 38.
  31. „Und wenn ich nun als Frau die politische Bedeutung von Lesbischsein eingesehen habe, was hab‘ ich dann davon? Ich kann doch nicht lesbisch werden, nur um durch Frauenstreik die Männermacht anzugreifen! Das kann Frau doch nicht über den Kopf machen!!“ Die Antwort lautete dennoch: „Wir müssen uns wiederentdecken, und mit mehr Wissen, d.h. weniger Angst, kann Frau leichter auf ihre a n g e b o r e n e n Möglichkeiten, auf sich und andere Frauen zugehen, sich und andere Frauen lieben.“ Ute und Ulrike: Tollgewordene Lesben?, in: FBA-info, Nr. 5/März 1978, S. 4-6, hier S. 6.
  32. Bähr, S. 122. Pinl bezeichnet sich selbst als „eine eher schüchterne ‚Urlesbe‘, deren Sozialisation in den verklemmten 50ern stattgefunden hatte.“ Pinl, Feminismus, S. 42.
  33. Bähr/Pinl paraphrasiert in dem Roman die Position der Uris, S. 126/7.
  34. Peters, Bl. 64.
  35. Vgl. dazu die mediale Darstellung in einem Spiegel-Dossier: Frauen lieben Frauen. Die neue Zärtlichkeit, DER SPIEGEL Nr. 3, 2. September 1974, S. 66. Zum Subhabitus vgl. Dennert et al, S. 42/43.
  36. Selbstdarstellung des im Sommer 1976 gegründeten Arbeitskreises Les Uris, Köfge, Best. 1, Mappe 13, Bl. 108; laut Emma ist die ‘Uraltlesbe’ oder ‘Traditionslesbe’ eine Frau, die ”immer schon Frauen geliebt“ hat, Emma, H. 3/1978, S. 20. Ein späterer Begriff ist Sandkastenlesbe.
  37. Selbstdarstellung des Arbeitskreises Les Uris, Köfge, Best. 1, Mappe 13, Bl. 108/9.
  38. Vgl. zu dem Konflikt die Bachelorarbeit von Alexander Mounji: Transsexualität und Feminismus. Das „Transsexuellenproblem“ in der Kölner Frauenbefreiungsaktion, Köln Historisches Seminar 2018, Kopie im Kölner Frauengeschichtsverein.

FrauenGeschichtsWiki ist ein Projekt des Kölner Frauengeschichtsverein e.V. Viele Informationen stammen aus unserem Vereinsarchiv. Wir freuen uns über weitere Hinweise an kfvg@netcologne.de