Kölner (Kriegs-)Blindenbücherei

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Kölner (Kriegs-)Blindenbücherei (* 1918 in Köln) ist eine Spezialbibliothek für Menschen mit Sehschwierigkeiten, die 1918 in Folge der Kriegsschäden von bürgerlich-nationalistischen Frauenrechtlerinnen gegründet wurde. Sie existiert bis heute

Entstehung

Die Jüdin Else Falk, Schatzmeisterin der Nationalen Frauengemeinschaft (NFG), hatte 1917 die Idee, eine Spezialbibliothek für Augengeschädigte einzurichten, da es eine wachsende Zahl von Kriegsblinden gab, die durch Geschosse oder sonstige Munition, Sprengstoff und chemische Waffen nicht mehr sehen konnten. Die Ehefrau eines Rechtsanwaltes, die selbst aktives Mitglied der Nationalliberalen Partei war, legte den Grundstock für die erste öffentliche Kölner Blindenbibliothek und sorgte auch später für deren Ausbau.[1]

Schon im Februar 1917 pflegte die NFG Kontakte mit dem Verein der blinden Frauen und Mädchen.[2] Im Juni 1917 stellte Else Falk über die NFG einen Antrag beim Oberbürgermeister auf Einrichtung einer städtischen Blindenbücherei. Sie erbaten einen Raum in einer städtischen Volksbibliothek.

Ein Fachbuch von 1927 ignoriert die ‚weibliche‘ Trägerschaft der Gründung und den privaten Charakter der Gründung.
„Das Schicksal der Kriegsblinden und der Wunsch, ihnen zu helfen, ließ in Kölner Kreisen während der Kriegsjahre den Plan einer eigenen Blindenbibliothek entstehen, und so wurde im Jahre 1919 im Anschluss an die Städtischen Volksbüchereien und Lesehallen und in deren Räumen die Blindenbücherei der Stadt Köln eröffnet."[3]

Auch 1933, im Jahr der Entrechtung der Juden/Jüdinnen und der Anordnung der zwangsweisen Sterilisierung von „erbbedingt“ Blinden, wurde ein Artikel im Kölnischen Tageblatt abgedruckt, der die herausragenden Leistungen einer Kölner Jüdin verschwieg: „Die Bibliothek der Blinden. Ueber 1500 Bände liegen in der Kölner Blindenbücherei auf. Das Werk der Nationalen Frauengemeinschaft“.[4] Else Falks aktive Rolle ist unbestreitbar, - auch nach der Institutionalisierung hat sich Else Falk durch Spenden für den Ausbau der Blindenbücherei eingesetzt.[5] 1922 erhielt die Bücherei letztmalig über 30.000 Mark durch die NFG, die sich dann vermutlich auflöste.


Die ersten Blindenbücher wurden ehrenamtlich hergestellt. Frauen aus dem Umfeld der NFG und des Zweigvereins vom Roten Kreuz stanzten maschinell Bücher in Brailleschrift aus, da der bisherige Bestand an Titeln zu gering war. Dazu mussten sie zunächst selbst Blindenschrift erlernen.

Institutionalisierung und Ausbau

1921 erfolgte die Übernahme durch die Stadt Köln.[6] Der erste Standort war in der Genter Straße. Blindenbibliotheken waren damals eine Seltenheit. Es gab weitere in Düren, Neuwied, Leipzig und Hamburg, - mit allen betrieb Köln Austausch-Leihverkehr.[7]

Ende 1924 war der Bestand auf 1098 Bände gestiegen,
„teils belletristischer, teils belehrender Literatur. Musikalien und fremdsprachliche Werke sind bis jetzt noch nicht aufgenommen worden. Neben den in Punktdruck erschienenen Büchern enthält die Bücherei eine große Anzahl von Handschriften, welche von Sehenden und von Blinden zum großen Teil unentgeltlich, aber auch gegen Bezahlung hergestellt werden.“[8]
1924 wurden jährlich 625 Bände entliehen. Hierzu wurden die Titel in einem Katalog erfasst. „An Katalogen sind bis jetzt nur einzelne Handexemplare vorhanden."[9] Die Lesefrist betrug 3 Wochen; ein Büchereiversand war geplant.[10]

Weiterhin wuchsen die Bestände durch ‚weibliche‘ Handarbeit. „In mühsamer Arbeit schrieben freiwillige Helferinnen Seite für Seite und Buch für Buch in Blindenschrift ab, ferner wurde eine große Anzahl von Blindenbüchern aus den verschiedensten deutschen Blindenbuch-Druckereien beschafft.“[11]

„Auf besonders konstruierten Schreibmaschinen fertigen blinde Damen diese riesigen Bücher an, die dann aber nur auf einer Seite zu lesen bzw. abzutasten sind, während die gedruckten Bücher zweiseitig lesbar sind. Für diese Bücher wird die Blindenkurzschrift verwandt, die sich nach dem System Marie Lomnitz, Klamroth-Leipzig aus nur sechs Punkten zusammensetzt, die dann ja nach ihrer Hoch- oder Tiefstellung einen Buchstaben oder eine Zahl bedeuten. Durch diese Kurzschrift ist es den Blinden Lesern möglich, das Gedruckte schneller aufzulösen.“[12]

Sonderwünsche wurden möglichst erfüllt.

„Liegen gewünschte Bücher in der Bibliothek nicht vor, so werden diese durch den Zentralkatalog in Marburg angefordert."[13]
1933 residierte die Bibliothek in der Volksschule Friesenstraße. "Ueber 1500 große Bände, durchweg belletristischer Art, stehen den Abonnenten kostenlos zur Verfügung.“[14] Die Bestände wurden vermutlich überwiegend vor Ort genutzt.

Leitung

Die Leitung lag in den Männerhänden des Direktors der Städtischen Volksbüchereien und Lesehallen, Dr. Reuter. „Die Arbeiten des Betriebes werden von einer sehenden Hilfskraft ausgeführt.“[15] 1933 wird die zuständige Bibliothekarin namentlich erwähnt: „Unter der mustergültigen und ehrenamtlichen Leitung der Stadtbibliothekarin Frl. Rösgen werden die Blinden an zwei Tagen in der Woche hier beraten.“[16]

Nutzer*innen

Mit Hochachtung wird im Sommer 1933 noch über die Nutzer*innen gesprochen.
„Merkwürdigerweise setzen sich die Abonnenten der städtischen Blindenbücherei nicht in der Hauptsache aus Kriegsblinden zusammen, sondern aus Jugendlichen, die den Blindenlehranstalten Düren und Neuwied im Lesen und Schreiben ausgebildet werden. ... Es ist erstaunenswert, wie die Blinden hier in der Friesenstraße ihre Lektüre pflegen. Beim Vorlesen merkt man es den intelligenten Menschen kaum an, daß sie des Lichtes ihrer Augen beraubt sind. Mit einer bewundernswerten Schnelligkeit tasten sie die Punktzeichen ab und begreifen sogleich deren Bedeutung. Noch weit erstaunlicher ist das Schachspielen, in dem sich die Blinden in der Bücherei üben. Die beiden Kontrahenten haben dabei ihre Figuren oft weit besser im Gedächtnis als mache andere Schachspieler, die den Verlauf des Spiels mit den Augen verfolgen können. ... So hat sich im Laufe der Jahre die Blindenbücherei zu einer unentbehrlichen und recht segensreichen Einrichtung entwickelt. In Anbetracht der guten Sache wäre nur zu wünschen, daß der Bestand der Bücherei durch freiwilliges Senden noch erheblich vermehrt würde.“[17]

Kurz darauf werden Schüler*innen dieser Einrichtungen zwangsweise sterilsiert, damit sie sich nicht fortpflanzten. Else Falk legte 1933 alle Ämter in den von ihr mitgegründeten und langjährig geleiteten (Frauen-)Vereinen nieder, musste 1939 Deutschland verlassen.


Fortbestehen

Als einzige der Kölner Volksbüchereien überstand die Blindenbücherei den Krieg ohne größere Verluste. Die Blindenbibliothek der Stadt Köln logiert seit 1995 im Gebäude der Stadtbibliothek am Neumarkt. Sie nennt sich heute Blindenhörbibliothek.[18]


Literatur über die Blindenbibliothek und Else Falk

  • Strehle, Carl (Hg.): Handbuch der Blindenwohlfahrtspflege. Ein Nachschlagewerk für Behörden, Fürsorge, Blinde und deren Angehörige, Berlin Heidelberg Springer, 1927.
  • NN: „Die Bibliothek der Blinden. Ueber 1500 Bände liegen in der Kölner Blindenbücherei auf. Das Werk der Nationalen Frauengemeinschaft“, in: Kölnisches Tageblatt vom 23.8. 1933.
  • Roecken, Sully: Else Falk, in: Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Hg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Agenda-Verlag, Münster, 1995, S. 220-222.
  • Roecken, Sully: Der Stadtverband Kölner Frauenvereine und seine angeschlossenen Vereine. In: Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Hg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Agenda-Verlag, Münster 1995, S. 183-219.
  • Franken, Irene: Frauen in Köln. Der historische Stadtführer, Köln J.P. Bachem Verlag, 2008.


weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Roecken, Sully: Else Falk, in: Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Hg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Agenda-Verlag, Münster, 1995, S. 220-222; vgl. Roecken, Sully: Der Stadtverband Kölner Frauenvereine und seine angeschlossenen Vereine. In: Zehn Uhr pünktlich Gürzenich. Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln, Hg. vom Kölner Frauengeschichtsverein, Agenda-Verlag, Münster 1995, S. 183-219.
  2. Vgl. Franken, Irene: Mit heißen Herzen. Der Erste Weltkrieg und die Kölner Frauen(-bewegung), in: Hesse, Petra; Kramp, Mario; Soénius, Ulrich S. (Hg.): Köln 1914. Metropole im Westen, anlässlich der Ausstellung "Köln 1914. Metropole im Westen", Kölnisches Stadtmuseum, Museum für Angewandte Kunst Köln und Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, 22. November 2014 - 19. April 2015, Köln Bachem 2014. Auch ein Allgemeiner Blindenverein existierte in Köln (mit Sitz in der Mozartstraße 5).
  3. Strehle, Carl (Hg.): Handbuch der Blindenwohlfahrtspflege. Ein Nachschlagewerk für Behörden, Fürsorge, Blinde und deren Angehörige, Berlin Heidelberg Springer, 1927, S. 289., Handbuch, S. 248.
  4. NN: „Die Bibliothek der Blinden. Ueber 1500 Bände liegen in der Kölner Blindenbücherei auf. Das Werk der Nationalen Frauengemeinschaft“, in: Kölnisches Tageblatt vom 23.8.1933.
  5. Vgl. Friedt, Gerd: Sefer Sikaron. Das Buch der Erinnerung. Genealogien der Bergheimer Jüdischen Familien Unter Einbeziehung der jüdischen Einwohner aus den ehemaligen Gemeinden Büsdorf, Glessen, Fliesteden, Kenten, Niederaussem, Oberaussem, Paffendorf , Quadrath, Ichendorf und Zieverich. Sefer Sikaron. Das Buch der Erinnerungan die ehemaligen Juden der heutigen Bügermeisterei Bergheim, Paffendorf und Hüchelhoven. Ihre Seelen seien eingebunden im Bündel des Lebens München 2013, S. 58; online unter https://www.bergheimer-geschichtsverein.de/downloads/Heinz%20Gerd%20Friedt,%20Genealogische%20Betrachtungen%20%C3%BCber%20die%20j%C3%BCdische%20Familien%20in%20und%20um%20Bergheim-Erft.pdf, zuletzt überprüft 04.02.2020.
  6. Kölnische Tageblatt, NN schreibt: „Mit dem zunehmenden Interesse für die Neueinrichtung übernahm die Stadtverwaltung dieser Bibliothek in ihre Regie und unterstellte sie den anderen Volksbüchereien.“aref>vgl. https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/stadtbibliothek/blindenhoerbibliothek; die früheren Seiten zur Geschichte sind nicht mehr online, u.a. http://www.stbib-koeln.de/spezial/bb/personen.htm.
  7. Vgl. NN, Tageblatt. In Leipzig existiert heute die Deutsche Zentralbücherei für Blinde (DZB) als wichtigste Blindenbibliothek. https://www.dzblesen.de/diedzb/aktionen/120jahredzb_noten.php.
  8. Strehle, S. 249.
  9. Strehle, S. 249.
  10. Vgl. Strehle, S. 249.
  11. Vgl. NN, Tageblatt.
  12. Strehle, S. 249, vgl. auch zur Biografie der Expertin: https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Lomnitz-Klamroth. Sie verfasste ein Grundlagen-Werk: Anleitung für randschriftliche Übertragungen in Punktschrift für die Mitarbeiter der deutschen Zentral-Bibliothek für Blinde zu Leipzig, Leipzig 1915.
  13. NN, Tageblatt.
  14. Strehle, S. 249.
  15. Ebenda.
  16. NN, Tageblatt.
  17. vgl. https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/stadtbibliothek/blindenhoerbibliothek

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